Elmshorn/Itzehoe. Irgendwann platzte es aus Samet A. heraus. „Du hast mein Leben zerstört“, hielt der 28-Jährige Richter Johann Lohmann vor. Der ging am Mittwochnachmittag im großen Saal des Landgerichts Itzehoe gar nicht auf die Provokation des Angeklagten ein, sondern setzte unbeirrt die Begründung seines Urteils fort. Und die fiel – ebenso wie das Urteil selbst – nicht zur Zufriedenheit des Niederländers aus.
Der hat sich aus Sicht der Großen Strafkammer sein Leben selbst zerstört, indem er am 28. Mai vorigen Jahres einen Geldautomaten der Commerzbank Elmshorn in die Luft gejagt hat. Für diese – von Samet A. im Verfahren bestrittene – Tat schicken die Richter den 28-Jährigen für vier Jahre ins Gefängnis. „Das ist tat- und schuldangemessen“, so Lohmann.
Komplize Mauro B. (23), der seine Beteiligung an der Tat vor Gericht eingeräumt hatte, kam mit drei Jahren und acht Monaten Haft etwas glimpflicher davon. Für ihn sprach aus Sicht des Gerichts sein Geständnis (Lohmann: „Wir werten das als volles Geständnis.“) und die etwas geringere Anzahl an Vorstrafen. Die Verurteilungen erfolgten wegen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl in einem besonders schweren Fall.
Seit Januar hatte sich das Landgericht mit der Automatensprengungbefasst. Zuvor hatte das Schöffengericht Itzehoe den Fall anverhandelt, dann kurz vor Weihnachten jedoch an das nächsthöhere Gericht abgegeben. Das tat sich erkennbar schwer. Zwar ließ Mauro B. gleich zu Beginn seinen Verteidiger Ole Baumann ein Geständnis verlesen, doch Samet A. tat es ihm nicht gleich. Er gab über seine Anwältin Astrid Denecke zu Protokoll, unschuldig zu sein.
Der 28-Jährige will lediglich einen zweiten Fluchtwagen aus Holland in die Nähe des Tatortes gefahren haben, wofür ihm 3000 Euro versprochen worden seien. Kurz nach dem Tausch der Fluchtwagen sei die Polizei erschienen, er sei mit dem ebenfalls zurückgebliebenen Mauro B. auf den Rellinger Friedhof geflüchtet und dort gestellt worden. Der hatte bestätigt, dass Samet A. bei der Automatensprengung nicht dabei war.
Lohmann bezeichnete diese Version als „völlig unwahrscheinliches Szenario“. Sollte tatsächlich ein Austausch des Fluchtfahrzeugs erfolgt sein, sei es wenig plausibel, dass Mauro B. nicht mit seinem eigentlichen Komplizen geflüchtet sei. Und wenn sich beide Angeklagten beim Autotausch das erste Mal begegnet wären, stelle sich die Frage, warum sie dann gemeinsam zu Fuß geflüchtet seien und nicht jeder für sich.
Lohmann wies auf daktyloskopische Spuren in dem Mercedes hin, mit dem die Automatensprenger vom Tatort geflüchtet seien. Sie seien am Lenkrad, am Schalthebel, am Innengriff der Tür sowie an einer Tasche auf der Rückbank entdeckt worden – und würden nachweislich von Samet A. stammen. Die Erklärung des Angeklagten, er habe dem flüchtigen Haupttäter im Mercedes beim Suchen seiner verlorenen Brieftasche geholfen, hielt Lohmann für „kaum überzeugend“. Dass jemand, der so eine Tat begehe, ganz brav eine Brieftasche mit seinem Ausweis mitführe, sei „völlig untypisch“.
Faserspuren, die auf dem Fahrersitz sichergestellt worden seien, könnten zudem vom Angeklagten stammen. Lohmann: „Es wäre schon ein sehr großer Zufall, wenn der wahre Täter eine ganz ähnliche Hose getragen hat.“ Glassplitter in Schuhe und Socken von Samet A. würden ebenso für seine Tatbeteiligung sprechen. Lohmann: „Ein ganz entscheidender Faktor sind die Handydaten.“ So habe das Mobiltelefon, das dem 28-Jährigen zugeordnet werden könne, zeitgleich mit dem Grenzübertritt des Mercedes eine Willkommens-SMS erhalten. Auch an drei weiteren Stellen würden die Handy-Daten und die GPS-Daten des Fahrzeugs eine große räumliche Nähe aufweisen.
Lohmann: „Wir sind überzeugt, dass Sie der zweite Täter in der Bank sind.“ Dafür spreche die Gesamtschau der Indizien. Dagegen spreche, dass der zweite Täter auf dem Bankvideo andere Kleidung trage als Samet A. zum Zeitpunkt seiner Festnahme. „Es ist nicht abwegig, dass der Angeklagte nach der Tat diese Kleidung entsorgt hat“, so der Richter weiter. Dafür habe der 28-jährige immerhin 30 Minuten Zeit gehabt. Und er habe bei seiner Festnahme nur ein T-Shirt getragen – bei unter 10 Grad Außentemperatur.
Die Kammer wertete es als strafverschärfend, dass beide Angeklagten allein zur Begehung dieser Tat nach Deutschland eingereist seien. Sie hätten Hand in Hand gearbeitet und seien hochprofessionell vorgegangen. Nach Überquerung der Grenze gegen Mitternacht seien sie um 3.48 Uhr an der Commerzbank eingetroffen. Den PS-starken Mercedes, dessen niederländische Kennzeichen mit gestohlenen deutschen Nummernschildern überklebt waren, hätten sie mit laufendem Motor vor der Bank geparkt.
Mauro B. sei in der SB-Zone zielgerichtet auf den Geldautomaten zugegangen, habe mit einem Kuhfuß innerhalb von zehn Sekunden die Monitoreinheit aufgehebelt und die Bedienblende nach vorne gezogen. Samet A. habe parallel die Gasflaschen bereitgestellt und dem Mittäter den Schlauch gereicht, mit dem das Gasgemisch in den unteren Teil des Gerätes eingeleitet worden sei. Im Anschluss hätten beide den Vorraum verlassen und zweieinhalb Minuten nach dem ersten Betreten mit Hilfe eines elektrischen Funkens die Explosion herbeigeführt. „Die Wucht war so gewaltig, dass die 50 Kilogramm schwere Tresortür des Automaten acht Meter weit durch den Vorraum bis in die Filiale geschleudert wurde“, so der Richter. Drei Außenfenster und die Glasabtrennung zur Filiale seien zerstört worden, Teile der Decke herabgestürzt. Es sei ein Gebäudeschaden in Höhe von 43.524 Euro entstanden.
In dem Geldautomaten hätten sich 157.620 Euro befunden, er sei nach der Explosion leer gewesen. Die Angeklagten hätten die im Vorraum verteilten Geldkassetten und einige dort herumliegende Scheine eingesammelt – insgesamt 131.930 Euro. Dann seien Samet und Mauro B. mit dem Mercedes über die Feldstraße und die Hochbrücke in Richtung der A 23 geflüchtet und mit Tempo 201 durch die Stadt gerast.
In Höhe der Autobahnauffahrt habe ein Beamter versucht, das heranrasende Fahrzeug mit einem sogenannten Stop-Stick zu stoppen. Der Mercedes sei mit einem Abstand von lediglich einem Meter an dem Beamten vorbeizischt. Der Stop-Stick sei an der Front abgeprallt und sei nicht von den Reifen überfahren worden, sodass der Mercedes auf die A 23 in Richtung Hamburg gelangen konnte. Das Fahrzeug sei bis auf 301 Kilometer pro Stunde beschleunigt worden, sodass die Polizeifahrzeuge abgehängt wurden.
„Ihnen war aber klar, dass der Mercedes als Fluchtfahrzeug identifiziert worden ist und sie wollten das Fahrzeug loswerden“, so der Richter. Daher seien die Angeklagten in Rellingen von der Autobahn abgefahren und hätten versucht, den Wagen in einer blickgeschützten Carportanlage an der Hauptstraße zu verstecken. Weil die dabei den Carport gerammt und Anwohner aufgeweckt hätten, sei es letztlich zur Festnahme gekommen. Den Großteil der Beute, nämlich 108.240 Euro, hätten Samet A. und Mauro B. im Auto zurückgelassen.
Während Mauro B. das Urteil regungslos aufnahm, zeigte sich Samet A. während der gesamten Urteilsverkündung über aufgebracht. Nach dem Terminende sprach er mit seiner Anwältin Astrid Denecke über eine gegen das Urteil mögliche Revision. Denecke, die einen Freispruch für ihren Mandanten gefordert hatte, wollte sich über die weiteren Schritte offiziell nicht äußern.
Staatsanwalt Altenburg hatte für Samet A. eine Strafe von vier Jahren und zehn Monaten, für Mauro B. vier Jahre und acht Monate beantragt. Auch er könnte in Revision gehen – ebenso wie Ole Baumann, der für seinen Mandanten Mauro B. eine Strafe von zweieinhalb Jahren als ausreichend erachtet hatte. Der Strafrahmen liegt in diesem Fall zwischen einem Jahr und 15 Jahren Gefängnis.
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