Kreis Pinneberg. „Wegen Corona vorübergehend geschlossen“, steht an den Türen vieler Läden. Vorübergehend dauert nun schon ziemlich lange, und ein Ende ist nicht wirklich in Sicht. Ein Stimmungsbild.
In das Juweliergeschäft Constantin in der Pinneberger Fußgängerzone fällt von außen kühles Licht. Der Schmuck in den Vitrinen liegt im Halbdunkeln, das Metallgitter ist unten. Constantin Petravakis, Gründer und Inhaber des Ladens, sinkt auf einen der schwarzen Stühle, auf denen sonst Kunden sitzen. „Es ist schwer“, sagt er. Die ersten Überbrückungshilfen für April bis Mai 2020 habe er damals rechtzeitig erhalten. Doch jetzt, im zweiten Lockdown lasse, das Hilfsgeld auf sich warten. Die Miet- und Versicherungskosten aber liefen weiter, momentan müsse er sie von seinen privaten Ersparnissen decken, die er eigentlich für seinen Ruhestand zurückgelegt habe. „Ich bekomme nichts. Weder Geld noch Informationen von der Regierung“, sagt er mit einer Mischung aus Empörung und Fassungslosigkeit.
Ministerium: „Staat schenkt Unternehmern Geld“
Harald Haase, Pressesprecher des Wirtschaftsministeriums Schleswig-Holstein, hält dieses und ähnliche Beispiele für Einzelfälle. „Der Staat schenkt Unternehmern in diesen Zeiten Geld“, meint er. Die Bewilligungsquote liege bei rund 85 Prozent, 44 Millionen Euro seien schon ausgezahlt worden. Die Bundessteuerberaterkammer schreibt dazu: „Auszahlungen sollen unverzüglich nach der Bewilligung erfolgen.“ Doch das Ganze hat einen Haken: Erst seit drei Wochen besteht laut Haase die Möglichkeit, die Anträge auf Überbrückungshilfen für November und Dezember zu bearbeiten. Vorher habe dem Ministerium das Fachverfahren des Bundes, durch das die Bewilligung organisiert werde, nicht zur Verfügung gestanden.
Unternehmer dürfen den Antrag zudem nicht selbst stellen, sondern müssen dazu einen „prüfenden Dritten“ beauftragen. Das soll Missbrauch vorbeugen und das Verfahren vereinfachen.
500 Euro hat Juwelier Constantin Petravakis im April 2020 an seinen Steuerberater dafür zahlen müssen. Harald Haase sagt, die Kosten sollten die Gewerbetreibenden aus den Überbrückungshilfen zahlen.
Im Schaufenster gucken, am Telefon bestellen
Auch Jutta Wüpper hat längst Unterstützung beantragt, aber nicht erhalten. Anders als beim letzten Lockdown. Seit 1985 leitet sie den Kindermodeladen el nino an der Pinneberger Dingstätte. Mit ihrem neuen Konzept im Lockdown nimmt sie den Begriff „Window Shopping“ wörtlich: Kunden gucken sich die Kollektion im Schaufenster an und bestellen per Telefon. Dann holen sie die Ware persönlich ab. Sie wünscht sich andere politische Maßnahmen, die sie ihr 60-Quadratmeter-Geschäft weiter betreiben lassen: „Einen Kunden auf der Fläche empfangen zu können, wäre schon schön.“
Tim Glindmeyer schließt an diesem Abend gerade mal seinen Wäscheladen auf, um noch etwas nachzusehen. Im Schaufenster hat seine Dekorateurin sieben attraktive Outfits an Nacht- oder Unterwäsche zusammengestellt und diese mit Buchstaben versehen. Per Telefon können Kundinnen im Laden anrufen und ihre Wunschkombination bestellen. „Das klappt und kommt gut an“, sagt Glindmeyer. „Wir schaffen das schon. Das Wichtigste ist, dass wir für unsere Kunden da sind. Die können jetzt das, was sie brauchen, über unseren neuen WhatsApp-Katalog bestellen. Zum Beispiel Winterjacken.“ Ob er überhaupt Anspruch auf Coronahilfe hat, überblickt er nicht, „das ändert sich ja ständig.“
„Wir wissen nicht, was wir machen sollen“
Kerstin Duhn vom Handarbeitsladen Hobbyeck Kunterbunt in Halstenbek nutzt die Zeit zum Räumen und Packen: „Einige unserer Kunden bestellen ihre Sachen telefonisch bei uns, und wir geben sie ihnen dann an der Tür heraus.“ Sie verkauft Wolle, Stoffe, Handarbeitsbedarf, Bastelsachen. „Wir schaffen das irgendwie. Aber reichen tut’s nicht.“
Der Inhaber einer Damenmode-Boutique in Pinneberg, der nicht genannt werden will, erzählt, dass er inzwischen ständig Mahnungen von seinem ihm nicht entgegenkommenden Vermieter und der Bank bekomme: „Wir wissen nicht, was wir machen sollen. Die Großen verdienen Geld, aber wir müssen schließen, können nichts verkaufen und verdienen nichts, während alle Kosten weiterlaufen!“
Buchhändler darf niemanden beraten
Jan Börms von der Buchhandlung Lesestoff in Rellingen hat ebenfalls an Optimismus eingebüßt: „Lange geht das nicht mehr so. Wir haben extreme Umsatzeinbußen. Die Leute kaufen zwar Bücher über unseren Onlineshop und nutzen die Zeit zum Abholen dann, um mal rauszukommen. Das freut uns. Aber der Umsatz ist kein Vergleich zu dem üblichen.“ Er dürfe niemanden beraten und hereinlassen, auch seine Postkartenständer dürfen nicht draußen stehen. Börms: „Beim letzten Lockdown wurde das noch ziemlich gut aufgefangen. Jetzt nicht mehr. Für den Januar muss ich Corona-Hilfsgeld beantragen.“ Noch immer liefert er Bücher nach Hause, „das hat aber sehr nachgelassen.“
Wenn jemand Beratung wünscht, versucht Börms das am Telefon, „oder ich stell’ meinen Kunden etwas zusammen, und die schauen draußen in der Kälte am überdachten Tisch in Ruhe, was sie haben möchten. Denn Stöbern ist ja verboten“. Das Stöbern, Lesen, Den-Alltag-vergessen ist es aber, das den Reiz eines Buchladens ausmacht.
Ist das ständige Vergünstigen wirklich hilfreich?
Sein Schaufenster nutzt Jan Börms für einen kleinen Sale zum Anlocken: „Der wird gut angenommen“. Einmal gelesene Bücher oder gut erhaltene Spiele gibt’s hier zu Flohmarktpreisen. Ist das ständige Vergünstigen wirklich hilfreich? Das wird nicht nur er sich fragen.
Ein großes Modehaus in Elmshorn ist Ramelow. Auch dort blühen neue Ideen jenseits von Click & Collect und Shop@home: „Wir packen zum Beispiel Wow-Boxen, die wir unseren Kunden nach Hause schicken. Ab jetzt können sie über Instagram und Facebook aus sieben verschiedenen Wow-Boxen auswählen und sogar Wünsche anmelden“, sagt Verkaufsleiterin Sabine Hoffmann. Nur ihre Größe müssen sie angeben. Was in den Schachtel ist, wurde um 55 Prozent reduziert und ist deshalb nicht umtauschbar. „Tolle Sachen, ein Superangebot“, sagt Hoffmann. Die Wow-Boxen sind auch bestellbar: 0163/7474480.
Firmenjubiläum ist ausgefallen
Am 1. Februar hätte Maria Gnewkow normalerweise groß ihr zehnjähriges Firmenbestehen gefeiert. Aber jetzt, nach fast acht Wochen Lockdown, ist der Inhaberin der Damenboutique Trasina an der Pinneberger Lindenstraße nicht gerade zum Feiern zumute. Bei ihr werden Damen jeden Alters zuvorkommend bedient und erhalten hochwertige Ware, sagt die Inhaberin. „Wir Kleinen sind auf unsere Stammkunden angewiesen. Die sind treu und sagen: Wir lassen Sie nicht im Stich.“ Trotzdem kommt niemand. Denn zu Trasina zu gehen sei etwas anderes, als Kleidung im Internet zu bestellen: „Hier können die Frauen reinkommen, bleiben, sich unterhalten und wohlfühlen. Wir wollen auch das Menschliche pflegen“, sagt Verkäuferin Inge Hansen.
Ältere Damen bekommen Hilfe in der Kabine, und die Chefin steckt persönlich die Hose ab, um sie dann passend zu machen. Oder sie sagt ehrlich, wie ein Kleid von hinten sitzt. Trotzdem lag der Umsatz im Januar bei Null: „Die Leute haben sich alle verkrochen, weil sie sich weggesperrt fühlen“, sagt Inge Hansen. „Wir wünschen uns, dass es jetzt einigermaßen normal weitergeht. Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft an die Wand fährt. Mir ist auch wichtig, dass ich mit meinen Lieferanten weiter gut zusammenarbeite. Unser Polster schmilzt dahin“, sagt Maria Gnewkow.
Für die kommende Woche will sie ein Jubiläumsfenster schmücken. Mit lauter schicken, zum Bestellen nummerierten Modellen und einem Rabatt. Vor dem Lockdown hatte sie wie sämtliche Geschäftsleute alle Hygienemaßnahmen getroffen: „Die Damen haben hin und wieder draußen gewartet, und wir hatten länger geöffnet. Ich wüsste nicht, dass sich eine Kundin hier angesteckt hätte.“
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Pinneberg