Pinneberg. Hoppla, es geht doch! Die Pinneberger Sozialökonomin, Gründerin und Leiterin der hiesigen Frauenberatung, Gudrun Kipp, hat sich sehr gefreut, als die Mitglieder des vergangenen Stadtentwicklungsausschusses vor ein paar Tagen beschlossen haben, eine dritte, erst die dritte, Straße in der Stadt nach einer Frau zu benennen. Wie berichtet, soll die Haupterschließungsstraße ins Wohn- und Gewerbegebiet Müßentwiete den Namen Ottilie Francks tragen. Die beiden anderen Pinneberger „Frauen-Straßen“ heißen Clara-Bartram-Weg und Emma-Bohnemann-Straße. Mehr gibt es bis heute nicht.
„Es ist mühsam“, stellt Gudrun Kipp zu dem kleinen Frauenanteil an den Straßennamen fest. Andere Städte sind da nämlich fortschrittlicher als Pinneberg. Gudrun Kipp ist neben der Gleichstellungsbeauftragten Deborah Azzab-Robinson die Frau, die für die Benennung neuer Straßen Vorschläge herausragender Frauen erarbeitet hat. Beiden geht es darum, Frauen wie eben Ottilie Franck zu würdigen.
Andere Orte haben Frauen-Geschichtswerkstätten
Franck gehörte von 1919 bis 1924 als erste Frau und Mitglied der Bürgerlichen Partei dem Stadtparlament an. Als allein erziehende Witwe und Mutter dreier Kinder leitete sie den Vaterländischen Frauenverein von 1934 bis 1936 und den späteren DRK-Ortsverein bis 1949. Diese Vereine leisteten Hilfe in Notlagen wie Krieg und Katastrophen, übernahmen in der Stadt die Gemeindekranken-, Säuglings- und Wöchnerinnenpflege.
Um an solche Frauen zu erinnern, haben Städte wie Elmshorn oder Halstenbek eine Frauen-Geschichtswerkstatt, und auch in Rellingen wurden viele Lebensläufe interessanter Rellinger Frauen aufgeschrieben und so dem Vergessen entrissen. In Pinneberg lässt eine ähnliche Initiative auf sich warten. „Ich hätte so etwas gern gemacht, denn wenn man zu mehreren daran mitarbeitet, macht das einfach mehr Spaß“, sagt Gudrun Kipp. Dabei gibt es eine ganze Reihe spannender Biografien von Pinneberger Frauen, die politisch, sozial und intellektuell Geschichte geschrieben haben. So hatte sich Gudrun Kipp nach ihrer Pensionierung dann selbst auf den Weg gemacht und im Selbstverlag ein heute vergriffenes Büchlein herausgebracht unter dem Titel: Frauenleben in Pinneberg.
Es gab so einige Frauen, die früh politisch aktiv waren
Zu diesen Frauen gehört auch die mutige Enkelin von Ottilie Franck, Maria Elisabeth Straub. Als erfolgreiche (Drehbuch-)Autorin hat sie gemeinsam mit Martina Borger mehr als 200 Folgen der WDR-Serie „Lindenstraße“ verfasst. Aber sie hat auch vieles andere geschrieben: 1985 etwa hatte sie in einem Merian-Heft gewagt, die extreme Abriss- und Neubauwut, die ihre geliebte Heimatstadt Pinneberg („man kommt zurück, eine Liebeserklärung auf den Lippen...“) fast dem Erdboden gleich gemacht hatte, in deutlichen Worten anzuprangern: „Anstelle von Stadtplanung Intensivnutzung, kaum eines der ehemaligen Quartiere, stattdessen eine Fußgängerzone wie sie in jeder x-beliebigen Retortenstadt zu sehen ist. Was ist daran noch Pinneberg?“ Pinnebergs schlechter Ruf verbreitete sich daraufhin in der ganzen Republik, und der damalige Bürgermeister Hans Hermann Kath drohte der Schriftstellerin mit einer Klage.
Nicht wenige Pinneberger Frauen waren schon früh politisch aktiv. So auch Emma Bohnemann. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war sie Sozialdemokratin, 1946 wurde sie für die SPD zur Ratsfrau gewählt. Bis 1970 blieb sie Mitglied der Ratsversammlung und des Kreistages. In all den Jahren des Engagements war ihr die öffentliche Fürsorge und Wohlfahrt am wichtigsten. Wo es nur ging, half sie nach dem Krieg den Flüchtlingen, die schon in langen Schlangen an ihrer Haustür warteten, wenn sie nach Hause kam. Aber Emma Bohnemann leitete auch fast 20 Jahre lang die SPD-Frauengruppe, und noch mit 80 Jahren ließ sie keine Vorstands- oder Fraktionssitzung der SPD aus.
Die dritte Frau, nach der in Pinneberg eine Straße benannt wurde, hieß Clara Bartram. Auch sie war karitativ tätig, kümmerte sich 1934/35 um isolierte Scharlachkranke und später um Verwundete und Bedürftige in Lazaretten des DRK, auch in Frankreich. Trotz Verbots machte sie nach Kriegsende damit weiter, versorgte Flüchtlinge, verteilte Care-Pakete, sorgte sich um die Kinderspeisung, betreute Schwangere und Säuglinge und unterstützte 1945 die Einrichtung des DRK-Suchdienstes, der vermisste Familienangehörige zusammenbrachte.
Mit 78 Jahren war sie 1962 sogar noch bei der Flutkatastrophe im Einsatz. Für ihre immensen Verdienste wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Auch Olga Geick setzte sich, obwohl sie erst im eigenen Laden, dann in einer Fischfabrik arbeitete, für die Unterprivilegierten ein. Gemeinsam mit ihrem Mann Heinrich wurde sie Mitglied der Kommunistischen Partei. 1924 kandidierte Olga Geick für die KPD und wurde zur Pinneberger Stadtverordneten gewählt. Sie hatten sechs Kinder, trotzdem nahmen sie noch einen Pflegesohn auf.
Bei Frau Reimarus kreisten aufklärerische Gedanken
Nach dem Verbot der KPD durch die Nazis betrieben die beiden weiterhin illegale Parteiarbeit. 1934 wurde ihr Mann inhaftiert, ein Jahr später starb er. Obwohl es verboten war, bahrte sie ihren toten Mann zu Hause auf. Um Abschied zu nehmen, kamen so viele Leute, dass sie nicht mehr ins Haus passten. 1944 wurde Olga Geick mit acht Pinnebergerinnen inhaftiert, ein Jahr später befreit. Sie starb 1957.
Zur selben Zeit war auch Anna Ipsen politisch aktiv. Sie arbeitete als Dienstmädchen bei dem fortschrittlichen Fabrikanten Herman Wupperman und trat mit 21 Jahren den Sozialdemokraten bei. 1924 kandidierte sie und wurde gewählt. Wie Emma Bohnemann, wollte auch sie die allgegenwärtige Not lindern. Zusammen mit Emilie Helm gründete sie 1925 die Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Pinneberg. Als Erstes richteten sie Nähstuben ein, wo gebrauchte Kleidung ausgebessert und an die Armen verschenkt wurde.
1936 verboten die Nazis die Awo, erst 1946 konnte es offiziell weitergehen. Wie Olga Geick, wurde auch Anna Ipsen bei der Aktion „Gewitter“ von der Gestapo verhaftet und inhaftiert. Nur weil ihr Mann im Rollstuhl saß, wurde sie nach einer Petition wieder freigelassen. Anna Ipsen starb 1980 mit 91 Jahren. Ihre Tochter Frieda Neurath war noch 20 Jahre Awo-Vorsitzende.
Das früheste Beispiel einer fortschrittlichen Frauenbiografie, auf das Gudrun Kipp bei ihrer Recherche gestoßen war, gehörte dem Großbürgertum an und genoss eine exzellente Bildung. Sie hieß Christina Sophia Louise Hennings, wurde 1742 in Pinneberg geboren und hieß später Reimarus, weil sie mit 28 Jahren den Arzt und Philosophen Johann Albert Heinrich Reimarus heiratete. Zu Hause in Hamburg gründete sie einen „Theetisch“ und damit einen Ort freigeistigen Austausches mit aufklärerischen Gedanken. Zu Besuch kamen Lessing, Klopstock, Lavater, Caspar Voght und viele andere spannende Menschen, die wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Reformen in Gang setzten.
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