Kreis Pinneberg

100-Jährige überlebt Corona nach Ausbruch in Pflegeheim

| Lesedauer: 6 Minuten
Nico Binde
Juliana Csapo ist 100 Jahre alt. Sie hat die Infektion mit dem Coronavirus überlebt, nachdem es zu einem Ausbruch im Pflegeheim Dana in Appen gekommen war.

Juliana Csapo ist 100 Jahre alt. Sie hat die Infektion mit dem Coronavirus überlebt, nachdem es zu einem Ausbruch im Pflegeheim Dana in Appen gekommen war.

Foto: Privat / HA

Juliana Csapo gehört zur Risikogruppe. Nachdem das Virus in ihr Altenheim kam, erkrankte auch sie an Covid-19.

Pinneberg. Als Juliana Csapo vor einigen Wochen 100 Jahre alt wurde, war die Welt noch eine andere. Die hochbetagte Seniorin konnte Besuch empfangen, hatte kaum Beschwerden, es ging ihr gut. Die Geburtstagsfeier der 100-Jährigen war frei von Zwängen. Ihr Alterssitz, das Heim Dana in Appen, frei von Corona.

Nicht mal eine weise Frau wie sie, die schon einen Weltkrieg und etliche Krisen miterlebt hat, konnte ahnen, dass nur einen Tag später nichts mehr so sein würde wie zuvor. Ganz zu schweigen von der lebensbedrohlichen Corona-Infektion, die noch auf sie zukommen würde.

Am 12. März, einem Donnerstag, waren diese Entwicklungen aber noch ganz weit weg. Frau Csapo stieß jedenfalls unbeschwert mit ihren beiden Kindern, den Enkeln und Urenkeln sowie einigen Freunden auf ihr Jahrhundertleben an. Sogar Appens Bürgermeister Hans-Joachim Banaschak schaute mal rein.

Einen Tag nach ihrem 100. Geburtstag wurde Besuche eingeschränkt

Für die kleine, adrett frisierte Frau gab es Umarmungen, salbungsvolle Worte, Küsschen links, Küsschen rechts. Kontaktbeschränkungen? Waren noch genauso weit weg wie das Coronavirus. Corona? Das hatten höchstens Reiserückkehrer aus Österreich und Italien. In Appen schien die Welt noch in Ordnung.

Schon 24 Stunden später wurden allerdings nicht nur im Altenheim von Juliana Csapo die Besuchsregeln drastisch verschärft. Das Virus näherte sich, die Pflegeheime im ganzen Land schotteten sich ab, fortan durften nicht mal engste Angehörige direkten Kontakt mit den 120 Bewohnern in Appen aufnehmen. „Schon diese Zeit war enorm schwierig“, sagt Heimleiterin Anne Schäfer. Eben wurde noch gefeiert, nun lebte man auf einer nahezu isolierten Insel.

Juliana Csapo war im September 2015 in die Appener Pflegeeinrichtung gekommen. „Davor hat sie ihren Alltag allein in ihrer Wohnung gemeistert“, sagt ihr Sohn Georg Csapo (73) aus Halstenbek. Erst im Alter von 95 Jahren wurde das Altenheim unausweichlich. „Sie war stets zufrieden, hat sich nicht über alles aufgeregt“, sagt ihr Sohn. „Ich glaube, diese Gelassenheit hat ihr geholfen, so alt zu werden.“

Ende April die Hiobsbotschaft: Coronavirus-Ausbruch im Pflegeheim

Und ohne Schäden durch die Corona-Krise zu kommen. Denn die isolierte Insel des Dana Pflegeheims wurde am 29. April trotz aller Vorsichtsmaßnahmen von einer Hiobsbotschaft heimgesucht. Eine Bewohnerin war positiv auf das neue Virus getestet worden.

„Vermutlich hat sich die Bewohnerin bei einem Routineaufenthalt in der Elmshorner Regio Klinik angesteckt“, sagt Anne Schäfer. „Genau lässt sich das nicht mehr nachvollziehen.“ Aber nun war das Virus im Haus – und damit waren Bewohner und Angestellten in Gefahr. Ein strenges Hygienemanagement wurde umgesetzt, das Haus komplett abgeriegelt, alle Bewohner und Mitarbeiter wurden getestet. Die ernüchternde Bilanz ein paar Tage später: Fünf Mitarbeiter und 13 Bewohner waren betroffen – unter ihnen auch die 100-Jährige.

Im Mai musste die 100-Jährige in Isolation: "Eine harte Zeit"

Juliana Csapo wurde am 12. März 1920 in Rumänien geboren, lebte viele Jahre in Temeswar, der drittgrößten Stadt des Landes im Dreiländereck zu Ungarn und Serbien. „Sie ist eine ausgezeichnete Schneiderin“, sagt ihr Sohn Georg. „Vor allem bei ihren weiblichen Kunden genoss sie einen exzellenten Ruf.“ Mit ihren Kindern war sie eher streng. Sohn Georg weiß noch: „Unehrlichkeit konnte sie nicht ausstehen.“

Seine Schwester und er verließen Rumänien in Richtung Schweiz und Deutschland. Georg Csapo wurde promovierter Ingenieur und ließ sich in Halstenbek nieder. 1985 holte er seine damals schon 65-jährige Mutter nach. Sie konnte hervorragend Deutsch – neben Rumänisch und Ungarisch. In Deutschland Fuß zu fassen sei ihr auch dank ihrer Geselligkeit („Sie tanzte gern.“) leicht gefallen. Jetzt, im April und Mai 2020, war sie als Covid-19-Patientin in der medizinisch verordneten Isolation ihres Appener Pflegeheims gefangen.

„Für unsere Bewohner war das eine harte Zeit“, sagt Heimleiterin Anne Schäfer. Schon unter normalen Bedingungen seien die sozialen Kontakte von alten Menschen überschaubar, mit den Besuchsbeschränkungen im Heim wurden sie nochmals reduziert. Nun war absolute Isolation angesagt – für Juliana Csapo und zwölf weitere positiv getestete Bewohner in Appen.

Zwei Tage Fieber – das war’s. Sie musste nicht mal ins Krankenhaus

Im Gegensatz zu vielen anderen, vor allem älteren Betroffenen, deren Lungen nach der Infektion qualvoll versagten, hatte Juliana Csapo Glück. Sie litt außer an Bluthochdruck an keinen anderen schwerwiegenden Vorerkrankungen. Das neuartige Atemwegsleiden Covid-19 verlief bei der 100-Jährigen mild. „Meine Mutter hatte zwei Tage lang Fieber“, erzählt Georg Csapo. „Das war’s.“ Sie musste nicht mal in ein Krankenhaus. Inzwischen haben sich Mutter und Sohn sogar schon wieder gesehen – er unten vor dem Pflegeheim, sie auf dem Balkon. „Da meine Mutter nicht mehr gut hört, sind Gespräche mit ihr schwierig. Aber ich freue mich jedes Mal, sie wieder bei guter Gesundheit zu sehen.“

Was nüchtern klingt, grenzt nach all den Horrorgeschichten über Risikogruppen und schwere Verläufe im Zusammenhang mit der Corona-Krise fast an eine unglaubliche Geschichte: Eine 100-Jährige überlebt Corona. „Sie geht mit ihrem Rollator sogar schon wieder zum Essen in unseren Speiseraum und besucht die Gottesdienste“, sagt Anne Schäfer. Das Heim selbst ist seit zwei Wochen wieder coronafrei. Dennoch, und das gehört auch zur Wahrheit, sind auch drei Menschen aus der Appener Einrichtung der Viruserkrankung erlegen – 46 Corona-Tote gibt es bisher insgesamt im Kreis.

Juliana Csapo aber hatte Glück. Zur Freude ihrer zwei Kinder, den vier Enkeln und weiteren vier Urenkeln.

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