Elmshorn. Internationale Solidarität war lange Zeit nur noch ein leeres Wort. Ein Überbleibsel aus der Zeit des Manchester-Kapitalismus, als sich die Arbeiter über die Grenzen ihrer Länder hinaus zusammentaten, um gegen ihre Ausbeuter anzutreten. Die deutschen Erste-Mai-Demonstrationen waren durchritualisiert, viele gingen nicht mehr hin, die Reden schwangen immer dieselben Gewerkschaftler. Jetzt aber, wo die Jugendlichen überall für Klimaschutz demonstrieren, freitags statt zur Schule auf die Straße gehen, bekommen auch die Demonstrationen zum Tag der Arbeit neue Kraft und neuen Zuspruch. In Elmshorn trafen sich am Mittwoch mehr als 400 Menschen, organisiert vom Deutschen Gewerkschaftsbund.
Es kamen plötzlich so viele wegen des neuen Jugendbündnisses 1. Mai, das im März geschlossen worden war. Darin haben sich grüne und linke Jugend, die Verdi-Jugend, die „Seebrücke“ aus dem Kreis Pinneberg, die Schüler von „Fridays for Future“ und die Antifa-Initiative aus dem Kreis mit den Gewerkschaften, Friedensinitiativen und anderen zusammengetan. Laut wurde es immer dann, wenn es darum ging, chorisch gegen den Rechtsruck, für die internationale Solidarität und mehr Gerechtigkeit zu sprechen. So zog die verjüngte Demonstrantenschar bei kaltem Wind durch Elmshorn, um gerade im Vorfeld zur Wahl des europäischen Parlaments ungeschönt ihre Meinung zu äußern. Meist sachlich, aber auch mit Leidenschaft, Wut und lauthals.
Lukas zum Beispiel, seinen Nachnamen wollte er nicht sagen, hielt eine Rede, in der er auf die Gefahren des Rechtsrucks innerhalb der Europäischen Union aufmerksam machte: „Die Debattenkultur wird sich dadurch dramatisch verschlechtern!“
Ein Rechtsruck bedeute außerdem, dass Arbeitnehmerrechte weiter ausgehöhlt würden, Gesetze zum Umweltschutz und Verbote von Spritzmitteln und Giften durch Neoliberale und Rechte angegriffen würden. Sein Appell: „Wir müssen uns rechten Angriffen offensiv entgegenstellen. Und wir müssen gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft kämpfen!“
Zuvor hatte Yannick Fischer von der „Seebrücke“ im Kreis Pinneberg in einer flammenden Rede die Teilnahmslosigkeit und Doppelmoral der Gesellschaft angeprangert, die es hinnimmt, dass im vergangenen Jahr mehr als 2200 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken sind. Dem Bündnis gehören Vertreter unterschiedlicher Parteien, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und Wohltätigkeitsorganisationen an.
Einen bleibenden Eindruck dürfte die Rede von Sarah Kölking vom Jugendbündnis hinterlassen haben. Anders als viele ihrer Mitdemonstranten begann sie schlagkräftig damit, sich selbst als Teil des globalen Massenkonsum-Problems zu kritisieren, das den Klimawandel ja mit verursache: „Ich bin das wandelnde Klischee, denn ich weiß nicht, was ich anziehen soll“, rief sie ins Mikro. Dann beschrieb sie die Klamottenberge in ihrem Schrank und sich selbst als Feministin und Naive mit Weltverbesserungs-Gen – „Weltauffassungen, die so gar nicht mit diesem, meinem Verhalten übereinstimmen.“ Sie frage sich: „Wann bin ich, wann sind wir alle an den Punkt gelangt, so abzustumpfen? Dahin, dass wir tagtäglich akzeptieren, verdrängen, darüber hinwegsehen, einfach nicht wahrhaben wollen, was unser Konsumverhalten für Auswirkungen hat?“
Europa-Gewerkschafter will mehr Verteilungsgerechtigkeit
Schonungslos beschrieb sie den faulen Frieden, den viele gemacht hätten: „Uns wird vorgelebt, dass wir, wenn wir es dennoch nicht schaffen, durch leckeres Essen, spannende Serien, neue Artikel oder All-inclusive-comfort-relaxing-packages glücklich zu werden, nicht hart genug an uns arbeiten, auch in Bezug auf eine bessere Welt. Doch wir haben uns wieder für Plastik entschieden, eine Autofahrt zu viel gemacht und billige Waren gekauft.“ Ihre Schlussfolgerung: „Nein zum Kapitalismus, zu Ausbeutung und Bereicherung zugunsten einiger weniger, reicher Individuen. Ja zu unserer Verantwortung, der wir uns stellen müssen. Hoch die internationale Solidarität.“
Wie wichtig die anstehende Europawahl sei, strich Peter Scherrer, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes heraus. Er forderte mehr Verteilungsgerechtigkeit: „Für Europas Zukunft muss unser Kontinent demokratischer, durchschaubarer und vor allem sozialer werden.“
Konkret wurde dann eine junge Frau namens Marlin vom Hamburger Bündnis zum 8.-März-Streik. Sie sprach vor allem im Namen von Frauen: „Viele von uns arbeiten in sozialen Einrichtungen. Wir sind dabei immer noch deutlich schlechter bezahlt als unsere Kollegen in männerdominierten Berufen.“ Und ob Friseur, Kosmetik, Nagelstudio, Gastro – auch dort werde unter prekärsten Bedingungen gearbeitet: „Oft reicht unser Lohn nicht mal für die Miete.“ In der patriarchalen Gesellschaft stehe Profit an erster Stelle, weiblich konnotierte Arbeit würde weiter abgewertet: „Bevor das nicht aufhört, können wir nicht frei und gleichberechtigt leben.“
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