Halstenbek. Olaf Damm reicht’s. „So geht’s nicht weiter“, sagt der Zugführer der Halstenbeker Feuerwehr. Was ihn ärgert? Die vielen Sauftouristen, die es seit einem Verbot in Hamburg nun an den Wochenende nach Halstenbek zu einer Radtour der besonderen Art zieht. Denn in der kleinen Baumschulgemeinde sind die von der Reeperbahn verbannten sogenannten Bierbikes jetzt unterwegs – zum Leidwesen vieler Anwohner und Autofahrer. Denn die Beschwerden über Wildpinkler und lärmende Spaßvögel häufen sich. Zudem sorgen die relativ großen und allein durch Fußkraft angetriebenen Fahrzeuge regelmäßig für stockenden Verkehr, insbesondere auf der Halstenbeker Wohnmeile. Das Problem: An der Gärtnerstraße befinden sich nicht nur zahlreiche Möbelgeschäfte, sondern hier ist auch die Feuerwehr ansässig.
„Es kommt ständig zu brenzligen Situationen, und wir verlieren dadurch wertvolle Zeit“, berichtet Damm. Jüngst geschehen am Wochenende. Drei dieser Bierbikes, die der Betreiber als Sporty-, Big- und Conferencebike bezeichnet, waren am Bahnhof in Höhe der Tankstelle direkt nacheinander auf die Hartkirchener Chaussee gebogen. „Sie sorgten für ein Verkehrschaos“, schildert Damm. Zum Glück waren die Helfer auf dem Rückweg von einem Einsatz, Minuten zuvor hätte es anders ausgesehen. Eine Person drohte von einem Hochhaus am Friedrichshulder Weg zu springen. „Da zählte jede Sekunde“, so Damm. Für ihn ist es unverständlich, warum die dem Alkohol nicht abgeneigten Gruppen ausgerechnet auf Halstenbeks Hauptverkehrsstraßen unterwegs sein müssen.
Auch Stefan Gehrke ist wie viele andere Anlieger genervt von der neuen Halstenbeker Touristenattraktion. Der 33 Jahre alte Kranken- und Gesundheitspfleger wohnt in der Nähe der Bahnstation Halstenbek und erlebt von Frühjahr bis Herbst vor allem freitags und sonnabends mit, was die Bierbiker mit ihren Kunden anrichten. Auf dem Weg zu S-Bahn und Bussen passiert er häufig die Parkplätze an der Bahnhofstraße, auf denen die mit Gerstensaft und Muskelkraft betriebenen Tretmobile angeliefert und mit Bier betankt werden.
Fahrgäste kommen oft schon betrunken an und grölen rum
„Die Fahrgäste der rollenden Kneipen sind meist dann schon betrunken, grölen herum, pinkeln in die Grünanlagen und auf die Bahnhofstreppen“, sagt der Halstenbeker verärgert. Der Nebeneingang, nur wenige Schritte vom Start und Ziel der dubiosen Fahrzeuge entfernt, ist nach Gehrkes Beobachtung ein besonders beliebter Ort zum Wasserlassen: „Häufig stinkt es hier dann noch tagelang nach Urin.“ Außerdem würden von den Bike-Betreibern der Linie 66 hin und wieder die restlichen Biervorräte auf der Fahrbahn entsorgt oder in den Gully gekippt. Gehrke kann sich nicht erklären, weshalb ausgerechnet Halstenbek das Ziel der meist aus Hamburg anreisenden Sauftouristen sein muss.
„Wir können das nicht so einfach verbieten, wie das viele gern wollen“, stellt Halstenbeks Bürgermeister Claudius von Rüden auf Abendblatt-Anfrage klar. Er verweist unter anderem auf das Recht der Gewerbefreiheit, und auch verkehrsrechtlich stellten die Fahrzeuge grundsätzlich kein Problem dar – wenn sich die Betreiber an die Auflagen halten. Doch genau in diesem Punkt streiten Gemeinde und die Juristen der Linie 66 mit Hauptsitz in Köln und Haren an der Ems bereits. Man befinde sich in einem Rechtsverfahren, so von Rüden. Mehr möchte er dazu nicht sagen.
Linie66
Klar ist: Die Gemeinde hat zuletzt die Auflagen für den Betreiber verschärft und zunehmend kontrolliert. Das Unternehmen muss sich für die Biketouren in Halstenbek nämlich eine Sondergenehmigung holen, genauso wie in Hamburg oder andernorts. Der Bezirk Hamburg-Mitte hat diese Sondergenehmigung für die Reeperbahn zum Beispiel verweigert. Die Entscheidung hatte vor dem Oberverwaltungsgericht bestand. In Halstenbek tut man sich da schwerer. „Wir können nur mit Auflagen arbeiten“, sagt Halstenbeks Bürgermeister. Jedes Vergehen dagegen werde verfolgt, Beschwerden würden ernst genommen, verspricht er. Die Verwaltung ist neben eigenen Kontrollen dabei aber auf Hinweise angewiesen.
Das wurde den Linie-66-Betreibern auferlegt: Pro Tag können sie bis zu drei Touren organisieren. Sonntags dürfen die Fahrzeuge überhaupt nicht auf Halstenbeks Straßen unterwegs sein. Zu Beginn der Fahrt sollen die Radler über einen Promillegehalt von maximal bis zu 0,5 verfügen. Der Betreiber ist verpflichtet, das zu kontrollieren und zur Feststellung ein Gerät zur Bestimmung des Atemalkohols mitzuführen. Am Steuer darf allein ein Mitarbeiter der Linie 66 sitzen.
Was kaum einer ahnt: Den Bike-Betreibern wurde laut von Rüden sogar verboten, alkoholische Getränke auf den Fahrzeugen auszuschenken. Sprich: Die Dosen und Fässer, die Beobachter auf den Spezialrädern voller Junggesellen gesichtet haben, müssten somit allein alkoholfreie Getränke enthalten haben – so zumindest die Theorie.
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