Pagensand gilt als Refugium für vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen. Die gesamte Elbinsel steht unter Naturschutz und gehört als Natura 2000-Gebiet zu den europaweit wichtigsten Schutzflächen. Lange Zeit fanden Wiesenvögel auf der Insel ideale Lebensbedingungen, doch jetzt sind sie kaum noch anzutreffen. Der Marderhund und die wuchernde Vegetation haben dafür gesorgt, dass diese Vögel dort nicht mehr anzutreffen sind. „Es gibt keine Lösung für dieses Problem“, sagen Jörg Kastrup, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) des Kreises, sowie Edelgard Heim, Leiterin des Elbmarschenhauses. Sie kümmern sich im Auftrag der Landesregierung um den Naturschutz an der Unterelbe.
Eine knapp 40 Hektar große Feuchtwiese bot früher den Bodenbrütern auf Pagensand ideale Bedingungen zur Aufzucht des Nachwuchses. Bis zum Anfang des Jahrzehnts sorgte eine Rinderherde dafür, dass die Grasnarbe schön kurz gehalten wurde. Doch die Tiere verwilderten und mussten abgeschossen werden. Dann versuchte es das Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg – Pagensand befindet sich im Besitz des Bundes – mit Maschineneinsatz. Doch der Aufwand und damit die Kosten waren zu hoch, Mähgeräte auf die Insel zu schaffen. So konnte seit 2013 die Vegetation auf der Wiese ungehindert wuchern. Heute steht dort vor allem Röhricht.
Grundsätzlich wäre es aus der Sicht von Edelgard Heim eine gute Idee, wenn eine Ziegenherde im Sommer auf Pagensand weiden würde. Allerdings wären dafür hohe EU-Auflagen zu beachten, und alle zwei Tage müsste ein Ziegenhüter auf die Insel fahren, um nach dem Rechten sehen. Praktisch ist es also nicht realisierbar, die Paarhufer als Naturschutzhelfer einzusetzen.
Neben dem fehlenden Lebensraum setzen den Bodenbrütern auf Pagensand die Marderhunde zu. Helmut Fricke ist Jäger und Experte für die Bedrohungen durch Neozoen, also eingewanderte Tiere, die die einheimischen Arten verdrängen. In der Haseldorfer Marsch sowie den angrenzenden Dörfern der Geest gehört dazu vor allem der Marderhund, sagt der Moorreger. Ursprünglich vor allem im östlichen Sibirien, dem nordöstlichen China und Japan vorkommend, wanderte das Raubtier westwärts. 2008 wurde der Marderhund erstmals in Haselau angetroffen und geschossen. „Dann geschah einige Zeit nichts, doch dann traten die Neozoen immer stärker auf“, sagt Fricke. Er geht davon aus, dass es heute mindestens 100 Marderhunde allein in der Haseldorfer Marsch gibt. Zu seiner Beute gehören nicht nur Bodenbrüter wie Kiebitz und Lerche, sondern auch Niederwild, etwa Hasen, Fasane und Rebhühner.
Scheues Tier
Bedrohlich für die seltenen Tiere auf Pagensand ist die Hundeart, weil sie schwimmen kann. Der oberste Naturschützer des Kreises geht davon aus, dass sich die Wiesenvögel neue Brutplätze an der Unterelbe gesucht haben. Wohin das Federvieh gewandert ist, kann er allerdings nicht sagen. Kastrup spricht davon, dass der Marderhund bereits seit fünf Jahren auf Pagensand bejagt wird. Fricke weiß, dass der Jagdpächter in den vergangenen beiden Jahren jeweils 25 bis 30 Marderhunde auf Wunsch der Naturschützer geschossen hat. Praktisch alle Gelege sollen davor leergeräubert worden sein. Edelgard Heim berichtet, dass 2015 30 Tiere getötet wurden.
Insel aus Schlick
Bedauerlich ist das Verschwinden der Wiesenvögel für den UNB-Chef, doch „Veränderungen müssen im Naturschutz akzeptiert werden.“ Das sei ganz normal. Kastrup arbeitet derzeit zusammen mit Edelgard Heim an neuen Lösungen im Sinne des Naturschutzes für die Feuchtwiese. Dazu wurde vor einigen Tagen eine Exkursion auf die Elbinsel organisiert, um zusammen mit einem Vertreter des Kieler Umweltministeriums die Möglichkeiten abzuwägen. Als realistisch sieht der oberste Naturschützer des Kreises es an, einen Teil des Erdreichs abzutragen, sodass das Elbwasser mit der Tide wieder ein- und ausschwingen kann. Dadurch würde ein neuer Lebensraum für Wasservögel geschaffen. Vorher müsste die Naturschutzgebietsverordnung für Pagensand geändert oder zumindest ein neues Entwicklungskonzept geschrieben werden. Dazu wäre das Okay aus Kiel nötig.
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