Quickborn/Ellerau

Gutachter: „S 21 ist unwirtschaftlich“

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Burkhard Fuchs

Gegenexpertise der Bürgerinitiative Bahnstraße stellt Elektrifizierung der AKN-Strecke Kaltenkirchen–Eidelstedt infrage

Quickborn/Ellerau.  Die Bürgerinitiative (BI) Bahnstraße fährt schweres Geschütz gegen die geplante Elektrifizierung der AKN-Bahnstrecke Kaltenkirchen-Quickborn-Eidelstedt auf: Die S-Bahn 21 dürfe, anders als es von den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein für das Jahr 2020 angekündigt ist, nie auf dieser Strecke fahren. Denn das Projekt sei volkswirtschaftlich und ökologisch sinnlos. Das habe ein von der BI für 5000 Euro in Auftrag gegebenes Gegengutachten ermittelt. „In der vorliegenden Form darf die S 21 Hamburg-Kaltenkirchen weder mit Bundes- noch mit Landesmitteln bezuschusst werden“, heißt es in der Expertise des Verkehrsplanungsbüros Vieregg-Rössler aus München, das sich seit 25 Jahren vor allem in Bayern mit Bahnprojekten beschäftigt.

Im Gegengutachten wird die standardisierte Berechnung der ebenfalls aus München kommenden Firma Intraplan Consult, die Grundlage für das länderübergreifende 100-Millionen-Euro-Investitionsprojekt ist, infrage gestellt. Insbesondere die künftigen Betriebskosten und der CO2-Ausstoß seien viel zu niedrig angegeben. Intraplan seien sogar „schwere Rechenfehler“ unterlaufen, heißt es. Zum Teil habe man für ein und denselben Sachverhalt mit unterschiedlichen Zahlen gerechnet, die „geradezu chaotisch voneinander abweichen.“

Das Büro Intraplan kam in seiner Analyse im Oktober 2014 zu dem Schluss, dass der Nutzen-Kosten-Faktor bei 1,12 läge, wenn künftig die S-Bahn diese AKN-Strecke bediene und die Fahrgäste aus Richtung Quickborn nicht mehr in Eidelstedt umsteigen müssten. Dieser Wert muss bei solchen Verkehrsprojekten über der Zahl Eins liegen, sonst dürfen dafür keine Bundesmittel fließen.

Mit dem Gegengutachten konfrontiert, zeigt sich Intraplan-Projektleiter Bernd Kollberg gelassen: „Bislang haben sich bei anderen Projekten sämtliche Vorwürfe von Vieregg-Rössler als unberechtigt erwiesen. Das wird hier auch der Fall sein“, wie er schon nach erster Lektüre sagen könne. Sofern es die Auftraggeber wünschen sollten, könne er die Fehlerhaftigkeit des Gegengutachtes auch im Detail nachweisen, so Kollberg.

Intraplans Berechnungen hatten ergeben: Der finanzielle Vorteil, der sich aus der Reisezeitverkürzung (etwa fünf Minuten je Fahrt), steigenden Fahrgastzahlen (zwischen 21 und 95 Prozent), Bequemlichkeit (kein Umsteigen mehr) sowie weniger Autofahrten (3900 weniger Pkw-Fahrten pro Tag) und weniger Unfallschäden ergibt, wenn 1300 bis 11.700 Menschen mehr als heute diese Bahnstrecke nutzen, liegt um zwölf Prozent über den einzusetzenden Investitions- und Abschreibungskosten sowie zusätzlichen Betriebskosten durch steigendem Energieverbrauch, der auch aus der Taktverdichtung entsteht. Das Gegengutachten der BI kommt nun zu einem Wert unter null (minus 0,16), der besagt, dass die Kosten weit über dem volkswirtschaftlichen Nutzen liegen würden.

„Dieses S 21-Projekt ist unwirtschaftlich, umweltschädlich und nicht zukunftsfähig“, fasst Florian Börner von der BI Bahnstraße das Ergebnis dieser Studie zusammen. „Es darf auf keinen Fall aus Steuermitteln bezuschusst werden.“ Für diesen Donnerstag hat die BI alle Bürgermeister jener Kommunen, die sich entlang der Strecke Kaltenkirchen-Eidelstedt befinden, sowie Landespolitiker aus Hamburg und Schleswig-Holstein und Vertreter der S-Bahn sowie der Nah.SH GmbH eingeladen, um ihnen das Gegengutachten zu präsentieren. Die Zeit drängt.

Voraussichtlich im April solle das Planfeststellungsverfahren für die Elektrifizierung beginnen, hatte jüngst AKN-Vorstand Wolfgang Seyb angekündigt. Die AKN hat von den beiden Ländern den Auftrag, das Planverfahren zu beaufsichtigen, auch wenn sie anschließend den größten Teil ihrer bisherigen Verkehrsleistung an die S-Bahn Hamburg verlöre, wie Seyb darstellte.

Die BI Bahnstraße hatte sich im August 2015 gegründet, als bekannt wurde, dass wegen des noch fehlenden zweigleisigen Ausbaus zwischen Quickborn und Ellerau-Tanneneck etwa 30 Eigentümer an der Bahnstraße erhebliche Teile ihrer Grundstücke für das zweite Gleis hergeben müssten. Im extremsten Fall wären die Häuser nur noch fünf Meter vom zwei Meter hohen Lärmschutzwall entfernt, hinter dem dann die S-Bahn vorbeirauschen würde, erklärt BI-Gründer Markus Spiering.

Ausbau der A7 wird vermutlich zahlreicheBahnfahrer zu Autofahrern werden lassen

Die BI-Sprecher betonen allerdings, dass diese persönliche Betroffenheit nicht in das Ergebnis des Gegengutachtens eingeflossen sei. So sei die Berechnung der Reisezeitverkürzung um 150.000 Minuten am Tag korrekt, die Intraplan erarbeitet hat.

Dass das Länder-Gutachten den sechsspurigen A7-Ausbau nicht berücksichtigte, der erfahrungsgemäß 10 bis 20 Prozent Bahnfahrer wieder auf die Straße treibe, sei hingegen ebenso außen vor geblieben wie die viel zu niedrig eingeschätzten Investitionskosten von 3,2 Millionen Euro je Kilometer. Obwohl ähnliche Bahnprojekte zum Teil schon das Doppelte gekostet hätten. Allein die Energiekosten für den S-Bahnbetrieb seien um 1,7 Millionen Euro im Jahr zu niedrig veranschlagt worden. Und der CO2-Ausstoß würde mit 21.470 Tonnen im Jahr dreimal so hoch sein wie von Intraplan angegeben, was dem Projekt eine negative Klimabilanz beschere. Beides zusammen würde den Nutzen-Kosten-Effekt dramatisch auf einen Wert unter null sinken lassen.

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