Ernst Barlach Museum Wedel zeigt 60 Bilder des berühmten Fotografen. Sie bilden ein eindringliches Gesellschaftsporträt der Weimarer Republik

Wedel. Erstmals widmet sich eine Ausstellung in Deutschland dem fotografischen Schaffen August Sanders im Kontext der mit ihm eng verbundenen Künstlergruppe „Kölner Progressive“. Die große Gemeinsamkeit zwischen August Sander und dieser Gruppe bestand darin, Menschen nicht nur in ihrer Persönlichkeit zu erfassen, sondern sie zugleich als Mitglieder bestimmter Berufsgruppen und sozialer Schichten zu porträtieren. Auf diese Weise ist ein sozialpsychologisch eindringliches Gesellschaftsporträt der Weimarer Republik entstanden.

Die Ausstellung im Ernst Barlach Museum Wedel zeigt 60 Fotografien August Sanders (1876-1964), die 1927 im Kölnischen Kunstverein zu sehen waren und zwei Jahre später als Sammlung unter dem Titel „Antlitz der Zeit“ herausgegeben wurden; zusammen mit etwa 40 Gemälden und Papierarbeiten der „Kölner Progressiven“ sowie Portraits der Künstler und Ateliers. Alle Werke stammen aus Sanders Nachlass.

„Sander gilt weltweit als einer der wichtigsten Wegbereiter der dokumentarisch-sachlichen Fotografie“, sagt Museumsleiterin Heike Stockhaus. Sein Stil habe Generationen von Fotografen beeinflusst, auch in den USA. Bereits um die Jahrhundertwende beginnt Sander mit seinen dokumentarischen Porträts. Anfang der 20er-Jahre entwirft er das Konzept zu seinem umfangreichen Vorhaben, an dem er bis ins hohe Alter arbeitet. „Den Stil, den er zunächst intuitiv umsetzte, behielt er bei“, sagt Stockhaus.

„Antlitz der Zeit“ sorgte für Aufsehen. Alfred Döblin, dessen Roman „Berlin Alexanderplatz“ im selben Jahr erschien, lobte in der Einleitung zum Fotoband: „Wie man Soziologie schreibt, ohne zu schreiben, sondern indem man Bilder gibt, Bilder von Gesichtern und nicht etwa Trachten, das schafft der Blick dieses Fotografen, sein Geist, seine Beobachtung, sein Wissen und nicht zuletzt sein enormes fotografisches Können.“ Kurt Tucholsky rühmte Sanders Arbeit als „fotografierte Kulturgeschichte unseres Landes“ und Walter Benjamin sah darin eine aufklärerische Wirkung hinsichtlich der drohenden Machtübernahme der Nazis. Diese zerstörten fünf Jahre später die Druckstöcke und stoppten den Vertrieb.

Sander unterschied sieben Hauptgruppen, die er untergliederte. Nüchtern und realistisch erfasst er die Besonderheiten der einzelnen Berufs- und Bildungsgruppen. Gleichzeitig schafft er es, ihre Individualität hervorzuheben. Eine weitere Pointierung gewinnen die Porträts durch ihre Bildunterschriften: Jungbauern, Boxer, Konditor, Handlanger oder Künstler. „Andererseits bediente er sich Symbolen der Oberschicht, steckte die Jungbauern in Anzüge, anstatt sie mit dem Pflug abzulichten“, sagt Stockhaus. Für sie ein „revolutionärer Akt“.

Sander lernte die „Kölner Progressiven“ Anfang der 20er-Jahre kennen. Zu ihnen gehörten Franz Wilhelm Seiwert, Heinrich Hoerle, Gerd Arntz (Entwickler des Piktogramms), Gottfried Brockmann, Otto Freundlich, Raoul Hausmann und Stanislaw Kubicki. „Sander war für sie unheimlich interessant“, sagt Stockhaus. Ihre Bewunderung zeigt sich in Seiwerts „Wandgemälde für einen Fotografen“, das gleich zu Beginn der Ausstellung zu sehen ist.

Anfangs trafen sich die Gleichgesinnten zu lockeren Runden in Köln. Mit der Zeit wurden die Treffen sozialkritischer, kreisten um Themen wie Revolution, soziales und politisches Geschehen. „In ihren teils figurativen, teils abstrakten Arbeiten setzen sie auf schematisiert dargestellte Typen bestimmter Klassen, wie Fabrik- oder Landarbeiter, was Sanders künstlerischer Sichtweise in vielen Punkten entsprach“, so Stockhaus.

Mit ihren Bildern wollten sie das Volk erreichen. „Auch der einfache Mensch sollte sie verstehen können.“ Die Arbeiten seien von hoher künstlerischer Qualität, nach 1945 aber in Vergessenheit geraten, anders als die Werke der Gruppen Der blaue Reiter oder Die Brücke. „Sie waren nach dem Geschmack der 50er-Jahre zu politisch“, sagt Stockhaus. „Politischer als der Dada, von dem sich die Kölner Progressiven aus diesem Grund distanzierten.“

„August Sander und die Kölner Progressiven 1920 - 1933“ ist eine Kooperation der Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg in enger Zusammenarbeit mit dem Kurator und Urenkel des Künstlers, Julian Sander. Er kommt zur Eröffnung am Sonntag, 15. März, 15 Uhr, im Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1. Zu sehen ist die Ausstellung bis 23. August dienstags bis sonntags, 11 bis 18 Uhr. Eintritt: sieben Euro.