Das Pinnau-Sperrwerk schützt die Region vor Hochwasser. Dennis Haacke ist seit 13 Jahren Elektriker der Anlage und verantwortlich für die Sicherheit vieler Menschen

Haselau. Ein holzgetäfelter, fast gemütlicher Raum, in dem ein Radio läuft. Breite, etwas nostalgisch anmutende Schalttafeln, dazu ein Computer, der die Pegelstände verschiedener Gewässer anzeigt. Sonne scheint durch die großen, schräg angeordneten Fenster, der Blick schweift weit über die Haseldorfer Marsch und den Elbstrom, gegenüber liegt die Insel Pagensand. Wir befinden uns im Leitstand des Pinnau-Sperrwerks, gelegen an der Mündung des Elb-Nebenarms, in zwölf Metern Höhe über dem Wasserspiegel. Einem Ort, an dem es im Falle einer Sturmflut weitaus weniger ruhig zugeht als an diesem Tag. Denn hier entscheidet sich, ob das Elbwasser das Hinterland mit den Städten Uetersen und Pinneberg erreicht, dort Menschenleben gefährdet und Millionenschäden anrichtet.

Zwei Männer sind für den Betrieb des Sperrwerks verantwortlich. Dennis Haacke, 38 Jahre alt, ist seit 13 Jahren der Elektriker der Anlage. Unterstützung bekommt er von Andreas Baumgarten. Der 30-Jährige ist eigentlich Elektriker im Krückau-Sperrwerk, arbeitet aber als Vertretung an der Pinnau in Haselau. „Üblicherweise haben wir noch einen Schlosser im Sperrwerk für die Hydraulik“, sagt Dennis Haacke. Doch der Mann, der den Job jahrzehntelang ausgeübt hat, ist kürzlich in Rente gegangen. Nun läuft eine Ausschreibung für die Neubesetzung der Stelle.

Während der Spülung sind die 13 Meter hohen Tore einen Spalt breit geöffnet

An diesem Morgen herrscht im Leitstand „Routinebetrieb“, wie Andreas Baumgarten sagt. Die massiven 13Meter hohen Fluttore der Anlage sind einen Spaltbreit geöffnet, damit ein starker Wasserstrom entsteht. „Wir spülen auf diese Weise den Bereich des Sperrwerks, sorgen dafür, dass Schlicksedimente ausgewaschen werden“, sagt Dennis Haacke.

Die hydraulisch betriebenen Stahltore bedient er mit Schaltern und Knöpfen. Auf dem Schaltpult befinden sich auch die Bedienelemente der Signalanlage für die Schiffe. Will ein Kapitän von der Elbe in die Pinnau fahren oder in die Gegenrichtung, wird das Tor geöffnet – meistens stehe es aber ohnehin offen, sagt Dennis Haacke. Kommt ein Segelboot, fährt ein Sperrwerksmitarbeiter die massive Brücke zur Seite, über die der Haselauer Deichverteidigungsweg führt, auf dem auch der Elbe-Radwanderweg verläuft. Radfahrer und Fußgänger nutzen normalerweise diese Brücke, aber das Bauwerk hält auch 60 Tonnen schwere Lastwagen aus.

Im Sommer fahren täglich drei bis vier Schiffe durch die Sperrwerkstore

Wasserfahrzeuge passieren das Sperrwerk derzeit selten. Anders werde das ab April: „Dann fahren hier täglich drei bis vier Schiffe durch“, sagt Andreas Baumgarten. Private Motor- und Segelboote seien darunter, aber auch Transportschiffe, die etwa Zellstoff zur Papierfabrik nach Uetersen bringen. Die Pinnau, die je nach Stand der Tide zwischen vier und fünf Meter tief ist, ist eine Bundeswasserstraße. Betreiber des Sperrwerks ist aber nicht mehr der Bund, der gab diese Rolle 2007 an das Land ab. Zuständig ist seitdem der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz.

Wie es hier bei einer Sturmflut aussieht, demonstriert Dennis Haacke seinem Gast an der Fensterfront. „Erinnern Sie sich an den Orkan Xaver im Dezember 2013? Damals stand das Wasser bis da hinten“, sagt Haacke und weist auf einen Bereich etwas unterhalb der 8,50 Meter hohen Deichkrone. Auf seinem Handy hat er ein Video aus einer Sturmnacht, gefilmt aus dem Leitstand. Dunkle, bedrohliche Wassermassen sind zu sehen, Regen peitscht gegen die Scheiben, der Wind pfeift. Doch die Tore hielten dicht, wie immer seit dem Bau des Sperrwerks im Jahr 1969.

Dennis Haackes Aufgabe in so einer Sturmnacht sei es, „die Stellung zu halten und zu überwachen, dass kein Treibgut in die Tore kommt und keine Hydraulikleitung reißt.“ Geschieht Ersteres, wird das Treibgut mit verschiedenen Spül-Techniken aus dem Torbereich befördert. Passiert Letzteres, muss Dennis Haacke im Maschinenraum Sperrventile schließen. Der Betrieb der Tore ist dennoch gesichert. Vier Elektromotoren pro Tor pumpen Öl in die Leitungen. Fällt einmal der Strom aus, gibt es ein Notstromaggregat. Fällt auch dieses System aus oder ist die Hydraulik defekt, gibt es noch zwei Dieselmotoren, mit denen die Tore gesteuert werden können. Fallen auch sie aus, kommt ein sogenannter Airbag zum Einsatz, der sich mit Gas aufbläst und die Tore zudrückt.

Zwei Treppen führen vom Leitstand hinab in den Maschinenraum. Es riecht nach Öl, ein Kompressor läuft. Er sorgt bei Minusgraden mit Luftdruck dafür, dass kein Eis zwischen Tor und der Betonwand entstehen kann. „Heute verwenden wir die Druckluft aber zum Ausspülen der Sedimente“, sagt Dennis Haacke. Eine Tür weiter befindet sich das Herz des hydraulischen Systems, Rohre, Hebel und Ventile, eine Schaltwand mit runden, analogen Anzeigen – der Laie fühlt sich an das Innenleben eines U-Bootes erinnert. „Die Anlage ist alt, aber grundsolide“, betont Haacke.

Etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt er hier unten mit der Wartung und Instandsetzung der Elektrik. Normalerweise beginnt der Tag für ihn um 7Uhr und endet zwischen 13 und 16Uhr. Es sei denn natürlich, es ist Flut – dann muss Haacke auch nachts raus. Er bewohnt deshalb mit seiner Familie ein Haus in Sichtweite des Sperrwerks. Für Haacke, der in Neuendeich aufgewachsen ist und dessen Vater schon beim Wasser- und Schifffahrtsamt arbeitete, ist das so etwas wie die natürliche Lebensform. „Man wird hier mit dem Wasser groß, hat eine große Verbundenheit mit dem Fluss“, sagt er.

Von der Arbeit erholt er sich gern auf seinem Motorboot oder beim Angeln. Denn der Job bietet auch dann genug Aufregung, wenn nicht gerade Sturmflut ist. In seiner Amtszeit gab es in der Nähe des Sperrwerks schon Schiffshavarien und Feuer, einmal musste er den Pegel der Pinnau für Arbeiten der Polizei regeln, weil eine Frauenleiche im Wasser gefunden worden war. Haacke kümmert sich auch darum, wenn herrenlose Hunde auf dem Deich unterwegs sind oder wenn ein totes Schaf auf dem Gras liegt.

Erfreulichere Überraschungen gibt es auch. Haacke: „Auf der Sandbank gegenüber sonnen sich gern Seehunde. Manchmal schwimmt sogar einer durch das Sperrwerkstor.“