Vergleichsgutachten belegt: Es gibt im Verhältnis mehr Existenzgründungen im Kreis Pinneberg als in Hamburg

Kreis Pinneberg. Der Kreis Pinneberg wächst gegen den Trend, ist industriell geprägt und höchst innovativ. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse eines 140 Seiten starken Gutachtens, das die vier Westküsten-Kreise Pinneberg, Steinburg, Dithmarschen und Nordfriesland, die drei Wirtschaftsförderungsgesellschaften WEP, egeb und Nordfriesland sowie die Industrie- und Handelskammern Kiel und Flensburg in Auftrag gegeben hatten.

„Pinneberg ist Gründer- und Zuwanderungsland“, sagt Harald G. Schroers, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WEP des Kreises Pinneberg. Vor allem bei den Gewerbeneuanmeldungen ist der Kreis Pinneberg spitze. Mit rund 3500 Existenzgründungen im Jahr stellt er so viele neue Firmen wie die anderen drei Kreise zusammen. Der sich daraus ergebende Wert von 4,2 neuen Firmen je 100 Beschäftigten ist 20-mal höher als der Bundesdurchschnitt und um 60 Prozent höher als in der Hansestadt Hamburg, wo dieser Wert bei 2,6 liegt.

Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt Schroers. Die städtische Struktur des Kreises Pinneberg und die im Vergleich zu Hamburg ländlichen Grundstückspreise und Gewerbesteuerhebesätze begünstigten diese Entwicklung. „Das ist ideal für Gründer.“ Ein Existenzgründer-freundliches Klima belebe die Wirtschaft ständig aufs Neue. „Dort, wo es keine Gründer mehr gibt, stirbt die Wirtschaft.“

Auch das stetige Engagement der WEP in diesem Bereich macht sich offenbar positiv bemerkbar. So schulte sie voriges Jahr 180 Menschen, die beruflich auf eigenen Beinen stehen wollten. 65 Personen nahmen laut Gudrun Kellermann an den zwölftägigen Praxiscamp-Kursen teil. Zwei Drittel der Teilnehmer gründeten tatsächlich eine Firma, von denen 90 Prozent nach zwei Jahren noch auf dem Markt seien.

Eine ist Monika Jahn-Möller, 55. Die Diplomingenieurin gründete 2014 in ihrem Wohnort Hetlingen das Unternehmen Koscupios, das Tischfeuerwerk mit Geschenken, Glücksbringern und guten Wünschen anbietet. „Mein Lichtfeuerwerk funktioniert wie eine Wundertüte“, sagt die Existenzgründerin, der das WEP-Angebot nach eigenen Angaben sehr weitergeholfen hat.

Spitze ist der Kreis auch im Bevölkerungswachstum. Mit etwa 305.000 Einwohnern lebt hier jeder neunte Schleswig-Holsteiner. Zwischen 2003 und 2013 ist der Kreis Pinneberg um 1,3 Prozent gewachsen, fast doppelt so schnell wie Hamburg (plus 0,8 Prozent), während im Land (minus 0,3 Prozent), Bund (minus 2,4 Prozent) und den drei anderen Kreisen (minus 2,4 bis minus 5,0 Prozent) die Bevölkerungszahl schrumpft. Zugleich liegt die Kaufkraft der Bürger im Kreis Pinneberg 13Prozent über dem Bundesdurchschnitt und damit genauso hoch wie in Hamburg.

Dieses Wachstum schwächt den demografischen Faktor im Kreis Pinneberg etwas ab, der aber auch hier deutlich zutage tritt. Die Kreis Pinneberger werden immer älter, die Zahl der 50- bis 65-Jährigen ist seit 2008 um 5,4 Prozent gestiegen, während die der 25- bis 50-Jährigen im selben Zeitraum um 4,5 Prozent gesunken ist.

Zugleich wirkt sich der Zuwachs auf die Pendlerströme aus. Mit 61.200 Auspendlern und 31.050 Einpendlern hat der Kreis Pinneberg ein Saldo von 30.150 Erwerbstätigen, die zumeist nach Hamburg zur Arbeit fahren. Dieser Überschuss an Auspendlern zeigt sich auch in sieben der acht Städte des Kreises, wo der Saldo zwischen 1000 (Quickborn und Tornesch) und 5500 (in Pinneberg) schwankt.

Diese Entwicklung werde von den Kommunen unterstützt, indem sie fleißig neue Baugebiete auswiesen, erklärt Schroers. „Da gibt es leider keine gemeinsame Strategie.“ Den Kreis Pinneberg stelle dies vor die Herausforderung, die Verkehrsinfrastruktur dementsprechend anzupassen, für Straßenausbau und attraktive Bus- und Bahnverbindungen insbesondere nach Hamburg sorgen zu müssen, wo der große Arbeitsmarkt ist.

Elmshorns IHK-Zweigestellenleiter Paul Raab sieht darin auch die Chance für viele Arbeitnehmer und Existenzgründer, sich verstärkt in Richtung Norden zu orientieren. So suchten landesweit Hunderte von Unternehmen einen Nachfolger und der Fachkräftemangel sei umso stärker, je weiter man nach Norden gehe. Die meist familiengeführten Betriebe im Norden seien oft krisensicherer als die Konzerne in der Großstadt, so der Kammer-Vertreter.

Strukturell wird die Wirtschaft dominiert von Industrie und Handel. Jeweils etwa 22 Prozent der 83.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten in diesen Branchen. Das zeige, dass der Trend keineswegs nur in Richtung Dienstleistungen geht, sagt IHK-Leiter Raab. Im Gegenteil. Die Bruttowertschöpfung im industriellen Sektor ist seit 2003 mit 36 Prozent dreimal so schnell gewachsen wie der Dienstleistungsbereich (12,5 Prozent).

Das verarbeitende Gewerbe werde oft fälschlich als laut und schmutzig dargestellt. „Dabei handelt es sich heute oft um Hochtechnologie in Reinkultur“, so Raab. Für Berufseinsteiger bedeute es, dass sie in der Industrie gute Zukunftschancen fänden. „Wer 3-D-Spiele am Computer spielt oder gar programmiert, sollte sich ernsthaft überlegen, ins verarbeitende Gewerbe zu gehen, wo viele Produktionsprozesse und Anlagen computergestützt gesteuert werden müssen.“