Wedelerin Marianne Wilke kämpft für Frieden, Freiheit und gegen Rassismus

Wedel. Post vom schleswig-holsteinischen Landesministerium? Das ist für Marianne Wilke nichts Ungewöhnliches. Sie bekommt öfter Briefe aus Kiel. Denn Wilke ist seit zehn Jahren Mitglied im Härtefonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Das Gremium, das beim Sozialministerium angesiedelt ist, befasst sich mit der Entschädigung von Opfern. Und so dachte sich die Wedelerin nichts dabei, als sie am Dienstag den Brief öffnete.

Doch dieses Mal war die Post aus Kiel alles andere als gewöhnlich. Das Ministerium informierte Wilke darüber, dass Bundespräsident Joachim Gauck ihr das Verdienstkreuz am Bande verleiht. Am 30. März soll sie die hohe Auszeichnung in der Landesbibliothek in Kiel erhalten. Ministerpräsident Torsten Albig wird ihr das Bundesverdienstkreuz überreichen. „Das war eine große Überraschung“, sagt Marianne Wilke. Für alle, die sie kennen, war es dagegen mehr eine Frage der Zeit.

Marianne Wilke ist eher eine Frau der leisen Töne. Wirklich gern steht sie nicht im Mittelpunkt. Doch wenn es um die Sache geht, dann erhebt die Wedelerin ihre Stimme. Für Freiheit, Toleranz und das Erinnern an die Naziverbrechen macht sie sich stark. Unermüdlich.

Der Terminkalender der 85-Jährigen ist voll. Zusammen mit ihrem Mann Günther steht sie seit Jahrzehnten bei den Ostermärschen in der ersten Reihe, tingelt von Gedenkveranstaltungen zu Mahnwachen. Zudem engagiert sie sich in zahlreichen Vereinen und Verbänden, die sie teilweise selbst ins Leben rief. So ist sie Mitbegründerin der Friedenswerkstatt in ihrer Heimatstadt sowie Mitglied im Wedeler Arbeitskreis gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Auf Kreisebene sind sie und ihr Mann im Bündnis gegen Rechts aktiv, zu dem unter anderem Propst Thomas Drope gehört.

In Norddeutschland ist Marianne Wilke außerdem Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Außerdem gehört sie dem Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Ladelund an, und sie rief mit ihrem Mann die Initiative Blumen für Gudendorf ins Leben. Seit 1983 organisieren sie einmal pro Jahr eine Mahn- und Gedenkveranstaltung. Auf dem Ehrenfriedhof erinnern sie – so wieder am 9. Mai – an die Tausenden sowjetischen Kriegsgefangenen, die in dem Lager am Ende des Zweiten Weltkriegs starben und in Massengräbern verscharrt wurden.

Die Liste der Dinge, für die die Wedelerin eintritt, ließe sich lange fortführen. Doch es gibt nur eine Sache, der sie alles andere unterordnet. Das ist ihre Aufgabe als Zeitzeugin, bei der sie den nachkommenden Generationen von der Schreckensherrschaft der Nazis berichtet. Als Überlebende sieht sie es in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Marianne Wilke hat jüdische Wurzeln. Ihr Mädchenname lautet Lehmann. Ihre Großeltern, zwei Tanten und ein Onkel fielen dem rassistischen Regime zum Opfer. An einige von ihnen erinnern in Hamburg Stolpersteine.

Wenn die eher kleine zierliche Wilke vor Hunderten von Schülern oder wie kürzlich vor 250 Soldaten in Alsterdorf über ihre Erinnerungen spricht, dann berichtet sie vor allem von dem alltäglichen Wahnsinn, den sie erlebte: von den Geschäften, in denen Juden nicht einkaufen durften, von den Parkbänken, auf denen sie nicht sitzen sollten, von der Angst ihrer Eltern, abgeholt und in ein Lager gebracht zu werden. Allein sieben Termine als Zeitzeugin stehen bis Mai in ihrem Terminkalender. Ruhe gönnt sich die 85-Jährige in diesem Punkt nicht. Ihr Mann Günther steht ihr zur Seite. „Unsere Geschichte zu erzählen, ist das Sinnvollste, was wir machen können“, sagt sie.

In der Begründung zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes heißt es: „Marianne Wilke hat sich über Jahrzehnte herausragende Verdienste in der Erinnerungsarbeit erworben und zeigt ein nachhaltiges Wirken im Kampf gegen Rechtsextremismus. (…) Sie tritt stets dafür ein, dass das historische Geschehen vor allem im Gedächtnis künftiger Generationen wach gehalten wird.“ Große Worte, von denen Wilke nicht so viel hält „Das ist doch etwas übertrieben“, sagt sie bescheiden. Auf die Frage, was ihr die Auszeichnung bedeutet, gibt es auch eine typische Wilke-Antwort. Die Wedelerin freut sich nicht für sich, sondern für die Sache. „Es bedeutet, dass die Arbeit der Zeitzeugenbörse und Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes anerkannt wird.“