Zu den Kunden gehören Biker, aber auch Ärzte und Rechtsanwälte lassen ihre Körper fantasievoll verzieren. Ein Besuch in einem Tattoo-Studio in Wedel

Wedel. Das Surren klingt wie das eines Zahnarztbohrers, nur ein wenig durchdringender. Es vermischt sich mit Heavy-Metal-Musik, die aus einem kleinen Radio durch den Raum schallt. Der Geruch von Desinfektionsmittel steigt in die Nase. Jörgen Andersson, Tätowierer im Pirate Island in Wedel, riecht das längst nicht mehr. „Here we go“, sagt der gebürtige Schwede und richtet den Blick auf den Oberarm seines Kunden. Dort prangt bereits die abgepauste Kontur einer düsteren Krähe. Als die Tätowiernadel auf die Haut trifft, wird das Summen dumpfer. Nichts regt sich im Gesicht des Tattoo-Künstlers, der jetzt in seinem Element ist.

Vor ihm auf der roten Bahre im Obergeschoss des Tattoo-Studios an der Elbstraße 73 liegt Simon Braker, der inzwischen schon als Stammgast zählt. Der junge Mann schließt die Augen, beißt sich auf die Unterlippe. Seine Bauchdecke wölbt sich nach oben, während die Zehen auf und ab wippen. „Der Schmerz gehört zu dem Prozess dazu, der ist erst stark und dann nicht mehr schlimm. Viele mögen den Schmerz sogar, das ist wie eine Sucht“, sagt er. Jeden neuen Lebensabschnitt begeht der 26-Jährige mit einem neuen Tattoo. Heute soll Tätowierer Jörgen noch Platz für den dunklen Vogel finden – zwischen Totenkopf und einem surrealen Wald auf dem linken Arm.

Ein Tätowierer braucht motorisches Feingefühl und ein künstlerisches Auge

Den Wald hat sich Simon Braker in einem renommierten Studio in Hamburg stechen lassen, das war ihm aber zu unpersönlich. Ganz anders in dem kleinen Tattoo-Studio in Wedel, wo sich im Sommer bis zu 30 Leute treffen, um gemeinsam vor dem Laden zu sitzen. „Unsere Kundschaft ist sehr gemischt und vor allem sehr treu, sonst hätten wir das hier in Wedel nie geschafft. Wir haben junge Leute, Ärzte, Rechtsanwälte, aber auch Harley-Fahrer und die richtigen ‚Brocken‘“, sagt Jürgen Kohbrok, der mit seiner schwedischen Frau Ann seit 2009 das Pirate Island führt.

Mit ruhiger Hand taucht Jörgen Andersson die Tätowiernadel in einen Plastikbecher Wasser, bevor er sie wieder in eines der kleinen Fingerhütchen mit Spezialtinte tunkt. Nur kurz wandern seine Augen zu dem ausgedruckten Bild, das unter dem Lederkissen seines Kunden klemmt. Er setzt die Tätowiermaschine an und zieht damit kleine Kreise. Das aufgeplusterte Gefieder der Krähe soll dadurch plastisch werden. Unter den Tupfen schwarzer Farbe, die sich langsam über die Haut ausbreiten, tritt etwas Blut hervor. Mit einem Haushaltstuch wischt Andersson die Stelle frei und sticht weiter. Anatomisch gesehen bringt er die Farbe in die mittlere von drei Hautschichten. Eine elektromagnetische Spule treibt sein Arbeitswerkzeug an.

Es ist das Gefühl, die Maschine kontrolliert zu führen, das der ehemalige Friseur an seinem Job so mag. „Als ich das erste Mal ein Tattoo gestochen habe, da hat meine Hand total gezittert. Deshalb war ich mit dem Ergebnis nicht so ganz zufrieden. Jetzt aber weiß ich genau, wie es geht und was passiert, wenn du die Nadel in die Haut steckst“, sagt er nach fast vier Jahren Praxis. Motorisches Feingefühl, ein künstlerisches Auge, strukturiertes Denken und Empathie seien Dinge, die man mitbringen müsse, um als Tätowierer arbeiten zu können. Dazu kommt der Druck, etwas zu kreieren, was dem Kunden für immer bleibt. „Und du musst den Leuten auch mal die Augen öffnen, wenn sie eine Idee haben, die umgesetzt einfach nicht gut wirken würde“, erklärt Ann Kohbrok. „Denn ein Körper ist ja etwas anderes als ein Blatt Papier.“

Manchmal kommen die Kunden nicht nur mit ganz speziellen Wünschen in das Studio, sondern auch mit emotionalen Geschichten aus ihrem Leben. Die Geburt von Kindern kann genauso Grund für ein Tattoo sein wie der Tod eines geliebten Menschen. Einmal sei auch ein schwerkranker Mann in das Pirate Island gekommen. Jörgen Andersson zeichnete ihm einen Kampf zwischen einem Drachen und einem Löwen auf die Haut. Von sich aus fragt der 38-Jährige aber nie nach den persönlichen Motiven für den Studio-Besuch. „Ich finde es gut, wenn ein Tätowierer diskret ist“, sagt sein Kunde Simon Braker.

Die Motiv-Wünsche der Kunden sind sehr unterschiedlich. Denn für den einen hat ein Tattoo eine tiefere Bedeutung, für den anderen ist es reiner Körperschmuck. Am liebsten zeichnet Jörgen Andersson die Motive für seine Kunden selbst, statt sich an einer realistischen Vorlage wie einem Foto zu orientieren. Dabei gibt es wie in jeder Kunst auch in der Tätowier-Branche Trends: „Als das Tattoo von Bettina Wulff in der Presse war, gab es richtigen Aufwind“, sagt Jürgen Kohbrok. Auch Fußballer oder Popstars wie Rihanna seien häufig genannte Vorbilder. Und vor zwei Jahren wollten alle Frauen plötzlich Lilien. An Zeiten, in denen sogenannte Tribals modern waren, erinnert ein großes Bild im Eingangsbereich des Studios: Kunstvoll geschwungen schmückt der Geschäftsname die Wellenkronen unter einem Segelboot.

Es ist eine der wenigen Malereien, die die rote Tapete des Ladens schmücken. Ein weiterer Hingucker ist der künstliche Kamin. „Wir haben uns extra für diese Einrichtung entschieden. Denn die Leute sollen sich ja wohlfühlen und keine Angst haben“, sagt Ann Kohbrok. Den Namen hat das Tattoostudio mit der einst größten schwedischen Kette gemein, die dem Sohn der Kohbroks gehört. Doch die beiden Wedeler haben für ihr Projekt im Rentenalter ihren eigenen Stil gefunden: „Nicht so brachial“, sagt Ann, die mit ihrem Mann schon in Schweden, Spanien und New York gelebt hat.

Das Konzept kommt offensichtlich so gut an, dass das Ehepaar nebenan ein zweites Studio eröffnet hat. Das Versprechen des Pilate-Island-Teams: „Jedes unserer Tattoos ist ein Unikat.“