Life-Kinetiker bringt in Wedel mit speziellem Trainingskonzept Gehirnzellen auf Touren

Wedel. Wenn der Apfel für vorwärts steht, die Kirsche für rückwärts und die Banane im Ferrari fährt – dann ist Trainingszeit fürs Gehirn. Wer jetzt nur Obstsalat versteht, der hat noch nichts von Life Kinetik gehört. Einer, der auf die Methode aus Bewegung, Wahrnehmung- und Gedächtnisschulung schwört, ist Stefan Müller. Der 51-Jährige gibt in Wedel zweimal pro Woche Unterricht.

Auch an diesem Abend haben sich Menschen zusammengefunden, um sich fit zu halten. Es ist ist kurz vor 20Uhr. Während die Teilnehmer eintrudeln und sich ihre Sportschuhe anziehen, beklebt Müller den Boden der Tanzschule Riemer mit Kreppband. Langsam bildet sich auf dem Parkett eine Acht. Darauf sollen die Gehirnjogger später ihre Bahnen ziehen – und zwar rückwärts, seitwärts, nach innen oder außen gerichtet. 20 Uhr: Die in diesem Fall achtköpfige Gruppe ist vollständig. Müller legt vier Begriffe fest. Apfel steht für rückwärtsgehen, bei Erdbeere drehen die Sportler ihren Oberkörper nach innen. Los geht’s. Alles hört auf Müllers Kommando.

Während einer Ballschule lernte der Hamburger Grundschullehrer und Fußballtrainer erstmals Übungen kennen, die zum Repertoire der Life Kinetik gehören. „Das hat mir gleich Spaß gemacht“, erinnert sich Müller. Aber erst bei einem Besuch in der Bücherhalle mit seinem Sohn bemerkte er, wie sehr die Übungen ihn fasziniert hatten. Müller griff zu einem Buch über das von dem Diplomsportlehrer Horst Lutz entwickelte Konzept. Nach der Lektüre ließ es ihn nicht mehr los. „Ich wusste, das will ich machen“, sagt er. 2013 absolvierte er die Ausbildung und kann sich jetzt zertifizierter Life-Kinetik-Trainer nennen. Die Idee, die dahinter steckt: Wir alle verfügen über ein ungenutztes Potenzial an Denkleistung, das wir durch das spezielle Training des Körpers, der Augen und der kognitiven Fähigkeiten aktivieren können.

Merkfähigkeit, Stresseresistenz und Auffassungsgabe sollen sich verbessern

Plötzlich hebt Müller den Arm. Die Teilnehmer des Kurses, die sich seit etwa fünf Minuten hochkonzentriert mit der schnellen Mischung aus Apfel, Kirsche, Erdbeere und Banane befassen, kennen das Signal offensichtlich. Sie stöhnen auf. Denn nun sind die Karten neu gemischt. Jede Obstsorte rutscht in ihrer Bedeutung sozusagen einen Platz weiter. Müller lässt ihnen nicht viel Zeit zum Nachdenken. „Banane“, ruft er schon, während Bahnen auf der Acht gelaufen werden. Es stockt, da wird gegrübelt und ein wenig abgeguckt, weil der Apfel jetzt Erdbeere ist. Oder alles Banane?

Für Müller ist das sinnvoll, er will die Teilnehmer fordern. „Wir üben nicht so lange, bis jeder es kann“, erklärt er. Wenn es zu 50 bis 60 Prozent klappt, muss er die Schwierigkeit erhöhen. Das bereitet Spitzensportlern Probleme, die laut Müller gern auf Life Kinetik zurückgreifen, um ihre Leistungen zu verbessern. „Wir werden in einer Welt groß, in der alles perfekt sein muss. So fällt es anfangs vielen schwer, sich auf die Übungen einzulassen“, sagt der 51-Jährige, der beim Hamburger Sportbund auch Talenttrainer für den Nachwuchsbereich ist. Doch wer sich darauf einließe, bei dem verbesserten sich die Auffassungsgabe, die Merkfähigkeit und die Stressresistenz merklich.

20.20 Uhr: Es ist Zeit, die Schwierigkeitsstufe zu erhöhen. Müller, der überlegt, in Altona eine Life-Kinetik-Schule zu eröffnen, bringt Autos ins Spiel. Es gibt Tücher für die Teilnehmer, pro Hand eines. Die müssen in kreisförmigen Bewegungen während des Laufens geschwenkt werden. Für vorn, hinten, links, rechts wird jeweils eine Automarke festgelegt. Und so fährt nun die Banane im Ferrari in Achten durch den Wedeler Tanzschulraum.

Die Methode hilft laut Müller auch nach Schlaganfall und als Demenzvorsorge

Eine von denen, die in dem Flitzer mitfährt, ist Elisabeth Biller. Der 67-jährigen Wedelerin half das wöchentliche Training nach ihrem Schlaganfall. „Mir fällt es wieder leichter nachzudenken. Ich erinnere mich schneller an Namen“, berichtet sie. Bei anderen Teilnehmern bewirkt es laut Müller, dass sie sich besser konzentrieren könnten oder trotz Erkrankung wieder beweglicher seien. Auch als Demenzvorsorge sei Life Kinetik genau richtig.

Auf die Obsttour im Ferrari folgt eine Buchstabensuppe. Dann ist es geschafft. Erschöpft kommen die Teilnehmer zum Abschlusskreis zusammen. Die Mitte finden, durchatmen. Es ist 21.15 Uhr. An diesem Abend ist Schluss mit der schweren Kost fürs Gehirn.