Anna Aridzanjan aus Pinneberg erreicht mit ihren kritischen Kurzbeiträgen 3000 Menschen. Ein Portrait in 140 Zeilen

Pinneberg. Wenn Anna Aridzanjan ihre Tweets bei Twitter rausschickt, macht sie das wie beim Kochen: aus dem Bauch heraus, mit einer schnellen Handbewegung. Während in ihrem Kochtopf auf diese Weise aus viel frischem Gemüse zumeist bodenständige Gerichte entstehen, tauchen auf ihrer Twitter-Timeline zahlreiche Beiträge auf, die so leicht wie ein Sommersalat daherkommen, aber so gehaltvoll wie eine Linsensuppe sind. Am Anfang habe sie noch viel kürzen müssen, sagt die 27-Jährige. Denn erlaubt sind bei dem Online-Kurznachrichtendienst nur Beiträge mit höchstens 140 Zeichen. „Jetzt gelingt mir das fast im Schlaf.“ Und so gut, dass das Branchenblatt „Medium Magazin“ sie zu den „Top 30 unter 30“ des Jahres 2014 zählt, einer Liste vielversprechender junger Journalisten.

Denn Anna Aridzanjan ist in einem Feld unterwegs, das für viele Redaktionen immer wichtiger wird: soziale Netzwerke. „Ich probiere mich gern aus, schaue mich auch in neuen Netzwerken um“, sagt sie. Ihr obligatorisches Facebookprofil nutzt sie eher für private Zwecke. Auf Twitter verbreitet die freie Journalistin aus Pinneberg, die Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg studiert, vor allem Nachrichten aus der Medienwelt, aus Politik und Gesellschaft – und erreicht damit mittlerweile etwa 3000 sogenannte Follower.

Twitter lebt von seinem Tempo, die Meldungen prasseln im Stakkato auf ihre Leser ein, ebenso schnell werden sie getippt. Nur wer gut filtert, wessen Beiträge er sehen will, hat eine Chance auf Relevanz statt Redundanz. „Twitter ist nur so gut wie die Leute, die dir folgen“, sagt Anna Aridzanjan beim Gespräch in der Taverna Kronos. Von Hektik ist sie weit entfernt, das Smartphone bleibt (fast) unberührt auf der roten Tischdecke neben einem Glas mit schwarzem Tee liegen. Ihre Sätze sind wohlüberlegt, ab und zu schiebt sie die Gabel in ihren griechischen Oktopussalat, nimmt einen Bissen. Dass die gepolsterte Sitzbank zum gemütlichen Zurücklehnen einlädt, ignoriert die 1,58 Meter große Twitter-Expertin, ebenso den Ouzo auf dem Tisch. Jetzt geht es um ihre Arbeit – oder ihre Leidenschaft. „Ich habe das große Glück, dass es mir leichtfällt, mit Sprache zu arbeiten.“

Ihre Präsenz als @textautomat bei Twitter hat sich zu ihrem wichtigsten beruflichen Standbein entwickelt. Sie nutzt es, um Themen zu finden, trainiert mit pointierten Kurzbeiträgen ihre Sprache und spinnt ständig weiter an ihrem Netzwerk. Zuerst sei der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“ auf sie aufmerksam geworden, erzählt Anna Aridzanjan. Der habe sie weiterempfohlen, mittlerweile folgen ihr mehrere Chefredakteure größerer Zeitungen.

Durch die Top-30-Nennung seien noch mehr wichtige Leute auf sie aufmerksam geworden. „Plötzlich gehöre ich dazu.“ Mit der Popularität stieg auch die Verantwortung. Nach wie vor gehen die meisten ihrer Tweets spontan raus, bei wichtigen Themen aber feilt sie an den Formulierungen. „Wenn 3000 Leute einen Beitrag falsch verständen, wäre das nicht gut.“ Denn auch wenn sie ihre Follower an Alltäglichem teilhaben lässt und ihre Begeisterung für Skurriles groß ist – dazwischen tauchen regelmäßig Kommentare und Verweise auf Texte zu gesellschaftspolitischen Themen auf. So kritisiert sie die Pegida-Anhänger, weist auf Datenschutz und Sicherheit im Internet sowie den Einfluss sozialer Netzwerke auf die Wahlbeteiligung hin. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Flüchtlingspolitik.

Anna Aridzanjan wurde in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens, geboren. Als kleines Kind flüchtete sie mit ihrer Familie nach Hamburg. Jahrelang waren sie in Deutschland nur geduldet. Heute hat die 27-Jährige wie ihre Eltern und ihr Bruder, die in Hamburg leben, die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit einem Jahr lebt sie mit ihrem Freund, einem Historiker, bei dessen Eltern in Pinneberg. Die gut gemeinte Hilfe, die zurzeit viele Menschen Flüchtlingen anbieten wollen, ist ihrer Ansicht nach nicht unbedingt der richtige Weg. „Flüchtlinge wollen nicht immer nur dankbar sein“, meint sie. „Aber viele Helfer haben diesen Anspruch.“

Anna Aridzanjan will helfen, indem sie schreibend auf Missstände aufmerksam macht. Ihr Anspruch an sich selbst ist hoch. „Ich will das große Ganze verändern.“ Für den Weg dahin nutzt sie Twitter, das oft als höchst banal belächelte Statusmeldungen-Fließband. Mit auf den Punkt gebrachten Kurzbeiträgen gibt sie ihren Followern die Anstupser, sich eingehender mit komplexen Themen zu beschäftigen. Mit einigen Mitstreitern betreibt sie zudem das „Social Media Watchblog", sie filtern für ihre Newsletter-Abonnenten Neuigkeiten aus der Welt der sozialen Medien.

In den vergangenen Monaten hat die junge Journalistin viel Lob erfahren. Dennoch lasse sie sich von kritischen Kommentaren auch schnell verunsichern, sagt sie. „Es ist beruhigend zu wissen, dass meine Qualifikation gebraucht wird.“ Nur eines kommt bei all dem etwas zu kurz. „Ich hätte gern mehr Zeit fürs Kochen. Das ist in meiner Familie sehr wichtig, es heißt: Ich will euch was Gutes tun.“ Zu viele Gäste dürfen es aber nicht sein, wenn sie eines ihrer Gemüsegerichte auftischt – mit dem Berechnen größerer Portionen tut sie sich schwer. Auch in der Küche ist Anna Aridzanjan eben eher die Spezialistin für kurz und knackig.