Einfach eine Tanne mitnehmen? Oft ist es komplizierter. Verkäufer im Kreis Pinneberg erleben viele skurrile Geschichten

Wolfgang Wohlers kennt viele Kunden persönlich. Seit 20 Jahren verkauft der 60 Jahre alte Angestellte Weihnachtsbäume in der Gartenbaumschule Miller in Rellingen. Eine Familie mit besonderen Wünschen, die seit vielen Jahren ganz kurz vor dem Fest ihren Baum bei Wohlers kauft, war dieses Jahr allerdings noch nicht da. „Wahrscheinlich kommen sie am Dienstag“, sagt Wohlers. „Sie suchen dann immer den aus unserer Sicht schlechtesten Baum. Krumm soll er gewachsen sein, nicht zu voll die Zweige, gerne auch mit einigen Löchern.“

Auf die Frage, warum das so ist, sagt er mit einem Augenzwinkern, dass „sie vermutlich jedem Baum mal eine Chance geben wollen“, auch das hässlichste Gewächs soll als Weihnachtsbaum glänzen dürfen.

Bei der Suche nach dem idealen Baum hat er auch schon lautstarke Konflikte erlebt, gerade wenn mehrere Generationen zusammen den Wunschbaum aussuchen kommen und völlig unterschiedliche Vorstellungen haben. „Da gibt es schon mal totalen Streit, meistens gehen alle – und am nächsten Tag kommt dann einer aus der Gruppe allein zum Aussuchen.“

Für die Zeit nach Geschäftsschluss am letzten Verkaufstag vor Weihnachten, wenn Wolfgang Wohlers und sein Chef Ulrich Miller nach getaner Arbeit im Büro noch ihren „Jahresabschlusskaffee“ trinken, haben beide eine Abmachung: Sehen sie dann noch vom Büro aus einen verspäteten Kunden vor verschlossenen Türen stehen, darf Wohlers ihm noch ein Bäumchen verkaufen und das Geld dafür behalten. Schließlich ist dann ja schon Weihnachten und für so manchen Kunden der Abend gerettet.

Beim Pflanzenhandel Vasel in Appen packen zwei Frauen tatkräftig bei den Weihnachtsbäumen mit an. Iris Vasel, 49, und Jessica Germer, 38, freuen sich dabei jedes Jahr wieder auf ein besonderes Ehepaar. „Das ist so eine Geschichte mit Herz“, sagt Iris Vasel. Der Ablauf ist immer derselbe: Das schon etwas ältere Paar kommt beim ersten Besuch zu zweit und sucht eine kleine Nordmanntanne für das Zimmer der Mutter aus, die im Pflegeheim lebt. Diese Tanne wird zurückgelegt.

Das Paar kommt einige Tage später mit der Mutter wieder und dann spielen alle ein bisschen Theater, die Kinder und die Verkäufer, alle machen mit. Denn die alte Dame soll das Gefühl haben, den Baum selbst ausgesucht zu haben, obwohl bereits feststeht, welcher es sein wird. Da sie selbst nicht mehr einschätzen kann, welcher in ihr Zimmer passt, leisten alle Überzeugungsarbeit, damit sie sich letztendlich für den richtigen entscheidet. „Die Kinder geben sich so viel Mühe, die sind ganz liebevoll“, sagt Jessica Germer. Durch das Zusammenspiel aller Beteiligten hat die alte Dame das Gefühl, eine eigene Entscheidung getroffen zu haben.

Dann erzählen Iris Vasel und Jessica Germer von der Familie, die immer einen rundum schönen und ganz gleichmäßig angespitzten Baum braucht – für ihren rund 100 Jahre alten Christbaumständer, der mitten im Zimmer stehen muss, weil eine Spieluhr eingebaut ist, die zusätzlich noch den Baum dreht. Und bei dieser Bewegung darf der Baum natürlich nicht umkippen.

Besondere Bäume möchten die Kunden der Firma Garten- und Landschaftspflege Markus Andres-Witt in Rellingen ebenfalls. Daher verkaufen Kirsten Witt, 63, und Sohn Markus Andres-Witt, 41, Blaufichten. „Wir sind fast die Einzigen, die sie führen“, sagt Kirsten Witt. Die Nachfrage ist da. „Die Leute sagen: ,Ich möchte keinen toten Baum’, und die Blaufichten duften ja so schön“, fügt sie hinzu. Während die einen Kunden also keinen „toten“, sprich nicht duftenden Baum wollen, möchten andere zwar den schönsten, halbieren ihn dann aber.

Daher wäre Sascha Pein, Mitinhaber der Udo Pein Forst- und Rosenschule in Appen, „fast vom Glauben abgefallen“, als Mutter und Tochter nach relativ langer Suche sich auf einen fast zwei Meter großen, schönen, voll gewachsenen Baum geeinigt hatten und ihn dann fragten, ob er „die eine Hälfte abschneiden“ könne. Sicherheitshalber ließ er sie erst den Baum bezahlen und stellte ihnen dann sein Werkzeug zur Verfügung. Er selbst brachte es nicht übers Herz, Hand anzulegen, „es gab so viele andere Möglichkeiten, als ausgerechnet den vollsten Baum zu nehmen“, sagt Pein. Man sieht ihm noch beim Erzählen an, wie er dabei förmlich gelitten haben muss. Aber nachdem Tochter und Mutter tatsächlich die Hälfte der Zweige entfernt hatten, „waren beide total begeistert. Der Baum sollte mit einer Seite direkt an einer Wand stehen, das war der Grund.“

Dagegen nehmen sich gängigere Sonderwünsche wie „Ich nehme den Baum in dem Topf da. Aber bitte sägen Sie den Stamm so ab, dass der Topf hier bleibt“ fast unspektakulär aus. Oder es wird explizit ein großer Baum gesucht, der dann aber in der Mitte durchgesägt werden soll, damit nur der obere Teil mitgenommen werden kann. Das alles hat Sascha Pein mehr als einmal erlebt. Seit dem 15. Lebensjahr hilft er bereits beim Baumverkauf.

In Erinnerung geblieben ist ihm auch das Paar, das vor einigen Tagen kam. „Die Frau fand gleich am Eingang ihren Weihnachtsbaum, 1,50 Meter hoch und schmal. Der Ehemann schnaufte und meinte: ,Das geht ja gar nicht, von so einem Baum hab ich nichts’, und suchte weiter.“ Es wurde windiger, es regnete immer mehr. Das Ganze dauerte trotzdem eine Dreiviertelstunde. „Wann immer der Mann einen Vorschlag machte, sagte die Frau ‚Ich hab meinen Baum schon‘, und wenn er sich über die Größe beschwerte, ,Dann stellen wir ihn halt auf eine Kiste’, erzählt Pein weiter. Am Ende kapitulierte der Mann vor dem schlechten Wetter. Seine Gattin hatte einfach den längeren Atem und nun auch ihren Baum.

Vor vielen Jahren hatte der Seniorinhaber der Firma, Udo Pein, ebenfalls eine Begegnung, die er wahrscheinlich nie vergessen wird. Es war schon dunkel, als ein Handwerkerauto auf den Hof kam, ein Mann stieg aus, „schon leicht angeschossen“, beschreibt der 60-Jährige den angetrunkenen Zustand. Der schwankende Kunde verlangte „den hässlichsten Baum, den du am Stand hast“. Pein fand einen ausgemusterten mit abgebrochener Spitze. „Jedes Jahr hat die Alte was zu quaken, immer irgendwas zu meckern“, sagte der Kunde. „Da soll sie jetzt auch mal einen Grund haben!“

Wie die Geschichte zu Hause ausging, weiß Pein nicht. Dafür aber, wie bei ihm selbst der Baum ausgesucht wird: „Meine Frau will einen schönen schmalen Weihnachtsbaum und ich einen breiten. Am Ende wird es immer ein mittlerer.“