Das Handwerk prägte einst Barmstedt. Claudia Kollschen und Peter Steenbuck haben ein Buch darüber geschrieben

Barmstedt. Gut 250 Jahre lang, bis in die 1990er-Jahre hinein, hat das Schuhmacherhandwerk das tägliche Leben und die Wirtschaft in der Stadt Barmstedt bestimmt. Doch erst jetzt ist ein Buch erschienen, das sich dieser ortsprägenden Zunft widmet. Die beiden Heimatforscher Claudia Kollschen und Peter Steenbuck, die zuletzt Barmstedts Geschichte als Ausflugs- und Erholungsort untersuchten, haben jetzt ein 132 Seiten starkes Werk mit dem Titel „Die Schusterstadt Barmstedt: Die Zeit der Barmstedter Schuhmacher und Schuhfabriken“ veröffentlicht. Das Buch kommt passend zum 875. Geburtstag der Stadt im Jahr 2015.

Die Autoren haben zahlreiche originale Dokumente, Bilder und Zeitungsartikel zusammengetragen. Sie beschreiben die Entwicklung der sechs wichtigsten Fabriken und Schuhhäuser und führen sogar alle in der Hochzeit des Handwerks gemeldeten Schuhmacher in einer Adressenliste auf.

Zunächst räumen die Literaturwissenschaftlerin Claudia Kollschen und der Fotograf Peter Steenbuck mit einem Vorurteil auf. So sei der Begriff des Schusters ursprünglich kein Schimpfwort gewesen, wie dies aus heutiger Sicht erscheint. In den Zeitdokumenten des 18. und 19. Jahrhunderts, die sie für ihre Arbeit erforschten, wurde das Schustern keineswegs abwertend verwendet, sondern immer als Sinnbild für die Schuhmacherei verstanden. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen einfachem Flickschustern und qualitativ hochwertigem Schuhmachen sei damals nicht vorgenommen worden, so die Autoren. Darum hieß Barmstedt zu Recht jahrhundertelang die Schusterstadt - nicht die Schuhmacherstadt.

Angefangen hat diese Epoche zu Beginn des 18. Jahrhunderts. 1726 gab es drei Schuhmacher in der Stadt. 1736 wurde Barmstedt vom dänischen König zum Flecken ernannt, was der Stadt schnell einen wirtschaftlichen Aufschwung bescherte. Schon 1738 gründete sich die Schuhmacherzunft, die dann im Laufe der nächsten 100 Jahre eine solche Blüte erlebte, dass 1835 jeder zweite männliche Erwachsene in Barmstedt als Schuhmacher beschäftigt war.

Es gab damals 133 Meister, 100 Gesellen und 80 Lehrlinge. Diese lebten zum großen Teil in äußerst ärmlichen und beengten Verhältnissen. Die Gesellen schliefen zu mehreren Personen in der kleinen Stube des Meisterbetriebes, in der sie tagsüber arbeiteten. Die Arbeit war schwer und durch das ständige Einatmen der Ausdünstungen der gegerbten Leder auch gesundheitsschädlich. Ende des 19. Jahrhunderts starben zwei von drei Schuhmachern an der Schwindsucht, sodass ein Zeitzeuge zu dem Schluss kommt: „Nur in der Not wird der Mensch Schuhmacher.“

Aber warum blühte gerade in Barmstedt dieses Handwerk so auf? Auch dafür haben die beiden Autoren eine Erklärung. So sei in Barmstedt einer der ersten wasserdichten Lederstiefel für Fischer und Seefahrer entwickelt worden. Viele Handwerksgesellen, so die Autoren, wollten die Erfindung auf ihren Wanderjahren unbedingt kennenlernen. Nicht wenige von ihnen ließen sich dann in Barmstedt nieder.

Vor gut 100 Jahren entwickelte sich aus dem reinen Handwerk eine maschinelle Industrie. Große Betriebe wie Lüdemann, Meyer, Rotermund, Kopitschke und Rickert entstanden, die 1920 zusammen 200 Gesellen beschäftigten. Während die industrielle Schuhanfertigung florierte, sank die Zahl der selbstständigen Schuhmacher von 280 im Jahr 1903 auf 170 im Jahr 1926. Das größte und bekannteste Unternehmen war das 1949 in Barmstedt gegründete Gabor-Werk am Nappenhorn, das 1970 mit etwa 1700 Mitarbeitern, davon 430 in Barmstedt, 18.000 Paar Schuhe am Tag produzierte. Zu dieser Zeit war das Werk bereits Barmstedts einzige Schuhfabrik. Der Gabor-Konzern avancierte in den 1980er-Jahren zu Europas größtem Damenschuhhersteller, der er heute noch ist.

Allerdings waren Gabors Tage in Barmstedt bald gezählt – damit endete auch die Zeit als Schusterstadt. Im Oktober 1991 kündigte die Unternehmensleitung an, ihr Werk in Barmstedt zum 31. Januar 1992 zu schließen und die Produktion ganz ins bayerische Rosenheim zu verlagern. 184 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. In 43 Jahren hat Gabor rund 30 Millionen Schuhe in Barmstedt hergestellt.

In den folgenden Jahren gaben auch die letzten Schuhmachermeister auf. Heute ist Dieter Storjohann mit über 70 Jahren der letzte Verbliebene dieser langen Tradition in Barmstedt. Nur noch der Schusterring, das Museum auf der Schlossinsel und das Schuhhaus Schramm (ehemals Meyer) mit seiner 145-jährigen Geschichte zeugen von dieser vergangenen Epoche.

Das Buch „Die Schusterstadt Barmstedt: Die Zeit der Barmstedter Schuhmacher und Schuhfabriken“ von Claudia Kollschen und Peter Steenbuck wird von Peter Steenbuck selbst verlegt. Es ist zum Preis von 18 Euro in den Barmstedter Buchhandlungen Lenz, Reichenstraße 8, und Reimers, Am Markt 24, erhältlich. Außerdem kann es in dem Restaurant Zum Bootssteg, Rantzau 7, gekauft werden.