Berufstätige können sich freistellen lassen. Pflegestützpunkt Pinneberg bietet Beratung

Pinneberg. Ist ein Mensch pflegebedürftig, leiden die Angehörigen mit. Denn auch sie erfahren einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben, wenn sie plötzlich mit einem Pflegefall in der Familie konfrontiert werden, beispielsweise nach einem Sturz oder Schlaganfall eines Elternteils. Ein Pflegefall ist eine Herausforderung für Angehörige, die bislang auch schwer mit dem Beruf zu vereinbaren ist. Hier hat der Gesetzgeber nun nachgebessert und ein neues Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf verabschiedet.

Bianca Trebbin vom Pflegestützpunkt Pinneberg begrüßt die Reform, auch wenn auf ihre Kollegin und sie jetzt vielleicht mehr Arbeit wartet. Bei ihnen finden Angehörige Antworten zu Fragen rund um das Thema Pflege und natürlich auch zu der Gesetzesreform.

Im Kreis Pinneberg wurden 2011 etwa 5100 Menschen häuslich gepflegt. Der Pinneberger Pflegestützpunkt ist seit 2009 die erste Adresse im Kreis, wenn Menschen plötzlich mit einem Pflegefall in der Familie konfrontiert werden und erst einmal keinen Überblick haben, was alles zu tun ist. „Wir sind als Anlaufstelle unabhängig und neutral“, sagt Trebbin. Die Träger des Pflegestützpunkts sind der Kreis Pinneberg, das Land Schleswig-Holstein sowie die Kranken- und Pflegeversicherungen. „Pflegestützpunkte sind seit 2008 gesetzlich verankert“, sagt Trebbin, „aber nicht jeder Landkreis in Schleswig-Holstein hat einen.“

Trebbin und ihre Kollegin Nicole Berke wissen beispielsweise, welche Pflegereinrichtung individuell am besten passt, ob überhaupt eine Einrichtung sinnvoll ist, und beraten dazu, was es bei häuslicher Pflege zu beachten gilt. Sie helfen bei Vorsorgevollmachten und erklären, welche Rechte und Pflichten Angehörige und Betroffene haben. Eine dritte Mitarbeiterin kümmert sich um Verwaltungsangelegenheiten.

„Die Bevölkerung im Landkreis Pinneberg wird immer älter“, sagt der Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann (SPD), auch die Zahl der pflegebedürftigen Menschen im Kreis steige. Im Jahr 2007 waren noch 2,4Prozent der Bewohner des Kreises pflegebedürftig, heute liegt der Wert bei etwa drei Prozent. Nach Angaben der Kreisverwaltung sind rund 9000 Menschen hier pflegebedürftig und erhalten deswegen Sozialleistungen.

Durch das neue Gesetz, das am 1.Januar 2015 in Kraft tritt, haben Angehörige das Recht, sich bei kurzfristigen Pflegefällen in der Familie bis zu zehn Tage von der Arbeit freistellen zu lassen. Ohne Urlaub nehmen zu müssen, können sie sich in dieser Zeit auf die neue Situation einstellen, Vorkehrungen für die Pflege treffen und sich informieren. Es wäre auch der Zeitpunkt, sich von Bianca Trebbin beraten zu lassen. „Ein Pflegefall ist für viele Familien ein gravierender Einschnitt, hinzu kommen meist hohe finanzielle Hürden“, sagt sie. „Die neue Lösung verschafft den Betroffenen etwas Freiraum, und sie müssen keine kopflosen Entscheidungen treffen.“ In den zehn Tagen erhält der Angehörige eine Lohnersatzleistung von 90 Prozent seines Nettogehalts, das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld. Rossmann betont, dass das Gehalt von der Pflegeversicherung bezahlt und der Arbeitgeber deshalb finanziell nicht belastet werde. Dennoch sei strittig, weiß er, wie weit die Bereitschaft der Arbeitgeber zur Kooperation wirklich gehen wird.

Außerdem gibt es nun die Möglichkeit einer Pflegezeit sowie einer Familienpflegezeit von sechs beziehungsweise 24 Monaten. Diese Modelle gelten jedoch nur in Betrieben mit mehr als 25 Beschäftigten und es besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Allerdings ist es möglich, ein zinsloses Darlehen zu erhalten, um den Lebensunterhalt zu sichern. Für die Pflegezeit kann man sich vollständig oder teilweise freistellen lassen, in der Familienpflegezeit gilt eine wöchentliche Mindestarbeitszeit von 15 Stunden. Für alle drei Modelle besteht während der Inanspruchnahme ein Kündigungsschutz.

Rossmann sieht Parallelen zwischen den nun neu eingeführten Pflegemodellen und den Rechten von Eltern, die bei Krankheit ihrer Kinder freigestellt werden können. Schließlich sei ein Pflegefall nicht minder aufwendig zu betreuen als ein neugeborenes Kind. Er spricht gar von einer „Diskriminierung von pflegenden Angehörigen“, die jetzt aber von der Politik erkannt und aufgehoben sei. Nun gelte es, sagt Rossmann, das neue Pflegegesetz bekannt zu machen. Angehörige, Ärzte und Arbeitgeber müssten über Vorteile, Rechte und Pflichten informiert werden.

Bundesweit werden laut Bundesfamilienministerium zwei Drittel der 1,85Millionen pflegebedürftigen Menschen zu Hause und ausschließlich von Angehörigen versorgt. Deren Rechte und Möglichkeiten werden durch das neue Gesetz gestärkt. Wenn plötzlich ein Pflegefall in der Familie auftritt, ist das schon belastend genug, doch häufig kommt es zusätzlich zu Reibungen mit Arbeitgebern. Rossmann betont, die Pflegeleistung von Angehörigen werde aufgewertet. „Die Unterstützung von Angehörigen ist notwendig und wichtig“, meint Trebbin. Sie bewertet die Gesetzesreform positiv. „Sie ist ein guter Schritt. Wichtig ist jetzt vor allem, dass Angehörigen der Zugang zu Unterstützung erleichtert wird.“ Angehörige seien bei plötzlichen Pflegefällen jetzt besser abgesichert.