Ein Ehepaar aus Elmshorn bietet seinen Pflegesöhnen so lange ein Zuhause, bis die Schützlinge flügge werden. Dritter Teil der Adventsserie

Vier Kerzen, vier Perspektiven. In unserer Adventsserie besuchen wir Menschen, die die Vorweihnachtszeit im weitesten Sinne in einer Herberge, also einer Unterkunft außerhalb ihres Zuhauses, verbringen. Die Herberge als christliches Sinnbild begleitet uns wie unser Adventskranz an ganz unterschiedliche Orte. Im dritten Teil sind wir zu Gast bei einer Familie, in der seit 25 Jahren insgesamt 13 Pflegekinder in Krisensituationen ein zweites Zuhause gefunden haben.

Walter Zahn, 59, ist ein gemütlich wirkender Mann mit Bart. Er könnte gut einen der Hirten im Weihnachtsmärchen darstellen. In gewisser Weise hat er diese Aufgabe sogar im richtigen Leben. Wie ein Hirte sich um seine Herde kümmert, so sorgt er sich gemeinsam mit seiner Frau Angelika um das Wohlergehen seiner „Schäfchen“, der Kinder, die ihm das Jugendamt anvertraut hat. Das Ehepaar sitzt am Esstisch im adventlich geschmückten Wohnzimmer und erzählt, welche Besonderheiten ein Leben mit Pflegekindern mit sich bringt.

Beide sind Gründungsmitglieder des Pflege- und Adoptivelternvereins Kreis Pinneberg. Zum Gründungszeitpunkt vor 25 Jahren hatte ihre Bewerbung für die Aufnahme des ersten Pflegekindes Erfolg. „Damals war ich noch in Vollzeit bei Airbus als Konstrukteurin angestellt“, sagt Angelika Zahn, 59. „Daher hatten wir uns für ein Pflegekind beworben, das schon zur Schule ging. Als weitere dazukamen, habe ich nur noch halbtags gearbeitet.“ Doch irgendwann wollte ihr Arbeitgeber sie wieder in Vollzeit am Arbeitsplatz sehen. Ihr Mann, bis dahin ganztags als Zolldeklarant tätig, zog die Konsequenzen. Sein letzter Arbeitstag war der Tag vor der Jahrtausendwende, seitdem ist er Hausmann.

Zwei Pflegesöhne und ein Adoptivsohn leben im Haushalt. Einige Pflegekinder blieben nur kurz als Überbrückung eines Notfalls, aber die meisten mindestens bis zum Alter von 18 Jahren. Tobias, 16, kam bereits mit vier, sein Pflegebruder Dustin, 13, mit sechs. „Mal vertragen die Kinder sich, manchmal streiten sie miteinander. In der Pflegefamilie lebt man in vielem wie in einer normalen Familie. Zusätzlich hat ein Großteil der Kinder Eltern- oder Großelternkontakte, das muss koordiniert werden“, sagt Walter Zahn. Dustin bleibt manchmal übers Wochenende bei seiner Mutter, bei Tobias fehlt dafür noch das Okay vom Jugendamt.

So hat jedes Kind andere Voraussetzungen und Hintergründe. Alle müssen mit dieser Verschiedenheit umgehen lernen. Das ist nicht immer leicht. Zum Bewältigen auftretender Schwierigkeiten kam zur gemeinsamen Familientherapie über Monate eine Therapeutin ins Haus. Heute wird sie nicht mehr benötigt. An diesem Erfolg waren die Kinder gleichermaßen beteiligt. „Gemeinsamen Anstrengungen sind nötig, weil das Gefüge Familie nur dann funktioniert, wenn die persönlichen Ressourcen eines jeden nicht überstrapaziert werden“, sagt Walter Zahn.

Adoptivsohn Enrico, 30, kam zuerst als Pflegekind zu den Zahns. Er wurde „noch unter DDR-Flagge geboren“, wie Walter Zahn sagt. Er wurde mit einer Fehlbildung seines Gesichts geboren und erhielt keinerlei Förderung in dem Heim, wo er lebte. Als die Zahns ihn herausholten, begann für ihn ein neues Leben unter der Obhut von Menschen, die sich für ihn einsetzten, mit einem Dach über dem Kopf, das nicht nur Herberge, sondern auch Heimat werden sollte. In dieser Lebensphase konnte er seine Fähigkeiten entwickeln, musste aber auch viele Operationen überstehen. Heute kann er mit einem Auge sehen, und das auch nur mit fünf Prozent Sehfähigkeit. Er schaffte es trotzdem, sein Abitur zu machen und studierte. Jetzt arbeitet er beim Kreisjugendring in Barmstedt als Sozialpädagoge.

Die Adventszeit im Hause Zahn begehen alle gemeinsam. Die Jungs haben beim Schmücken geholfen und die Dekoration für ihre Zimmer ausgesucht. „Sie finden das richtig gut, wenn es geschmückt ist“, sagt Walter Zahn. Nicht nur die Jüngeren, auch er hat einen „altersentsprechenden“ Adventskalender bekommen, mit Schokolade. „Den Nikolaus gibt es bei uns auch – aus Tradition mit Schuheputzen“, fügt er hinzu. „Bei einer so großen Familie muss jeder ein bisschen Disziplin lernen.“

Außerdem stehen immer Besuche von weihnachtlichen Theateraufführungen auf dem Plan, für jede Altersgruppe wird das Passende ausgesucht. Und wenn die Kinder zu Hause sind, sitzt man gemütlich beim Adventskaffee zusammen. An den Feiertagen sind die Pflegekinder oft bei Verwandten. „Aber Heiligabend ist die Bude voll. Es ist eine gute Herausforderung, dieses Jahr den Abend für Familie und Freunde, insgesamt 16 Leute, zu organisieren. Der Weihnachtsmann kommt sogar persönlich, dabei haben alle ihren Spaß“, sagt Angelika Zahn.

Wo ihre beiden Pflegekinder sein werden, wenn sie erwachsen sind, wissen die Zahns nicht. Irgendwann werden auch sie flügge werden und das schützende Nest verlassen. Wenn sie dazu bereit sind. „Im Moment jedoch brauchen sie unsere Fürsorge“, so Walter Zahn. So gesehen, sind er und seine Frau wie Herbergseltern, die ihre Gäste ziehen lassen müssen, wenn diese die Obhut der Herberge nicht mehr brauchen. Doch bis es so weit ist, werden sie gemeinsam leben und gemeinsam Feste feiern – wie viele andere Familien auch.