Die Schüler des Johann-Rist-Gymnasiums schauen nicht weg, sondern hin

Wedel. In der großen Eingangshalle des Johann-Rist-Gymnasiums in Wedel ist gerade große Pause, aber es geht unerwartet geordnet zu. Viele Schüler stehen an Aktionstischen mit bunten Zetteln und Stiften. „Mobbing ist blöd“, hat Sebastian Heer, 12, auf sein Blatt geschrieben. Und er weiß auch, warum: „Weil es die Gefühle verletzt und die Seele und weil man sich ausgeschlossen fühlt.“ Piet Blankenburg, 11, hat „Helfen, na klar“ notiert und ein Daumen-hoch-Symbol daruntergezeichnet. Er wird seinen orangefarbenen Zettel gleich zu all den anderen an die Fenster der Pausenhalle kleben.

Gymnasium bekam 2008 den Titel „Schule ohne Rassismus“

Das Ganze ist Teil einer Aktion, die die Wedeler Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ anlässlich des landesweiten Anti-Mobbing-Tags geplant hat. Die Initiative wurde 2001 von Schülern des Gymnasiums gegründet. Susanne Horzela, 53, Lehrerin für Deutsch und Geschichte, wurde damals von den Schülern gefragt, ob sie das Projekt begleiten wollte. Sie wollte und hat inzwischen auch Unterstützung von ihrer Kollegin Eva-Maria Dankes, 32, bekommen, die ebenfalls an der Schule unterrichtet.

Beide haben mit den fast 30 Schülern der Initiative nicht nur die Zettelaktion geplant. Sie treffen sich jede Woche und bereiten den Themenabend vor, der einmal im Jahr stattfindet. 2009 etwa lautete das Thema „Amok“, dazu kamen besonders viele Gäste. Im Februar werden unter der Überschrift „Jeder Mensch hat eine Begabung“ die Schüler der Initiative wieder Vorträge halten, begleitet von Beiträgen der Theater-, Musik- und Kunstkurse.

Die Unterstützung innerhalb der Schule hat dazu beigetragen, dass das Gymnasium 2008 den Titel „Schule ohne Rassismus“ bekommen hat. Bedingung dafür ist, dass mindestens 80 Prozent der Menschen an dieser Schule eine Selbstverpflichtung unterschreiben, vom Hausmeister über die Schüler bis zu den Lehrern. Schließlich geht das Thema Mobbing alle an. Auf einem Plakat in der Pausenhalle steht, worauf es ankommt: „Ich setze mich dafür ein“. Respekt, Lösungsorientiertheit und Offenheit sind darunter aufgeführt.

Susanne Horzela antwortet auf die Frage, ob Mobbing auch von Eltern und Kollegen ausgehen könne, mit einem ganz klaren Ja. „Denn es sind ja alles Menschen.“ Wo soziale Gruppen zusammenkommen, können Konflikte entstehen. Daher findet sie einen einmal im Jahr stattfindenden Anti-Mobbing-Tag nicht ausreichend. Die älteren Schüler aus der Oberstufe von der Initiative haben bereits einen Tag zuvor schon die fünften Klassen spielerisch an das Thema herangeführt und Fragen gestellt wie: „Stell dir vor, ein Mitschüler wird gemobbt und du weißt, wer der Täter war. Sagst du das dem Lehrer?“ DieKinder mussten sich positionieren und ihr Handeln begründen. Dabei entstehen Diskussionen, die Kinder reflektieren ihr Handeln und erfahren: Es gibt nie „nur“ Zuschauer, man ist immer am Geschehenen beteiligt.

Die Situation für betroffenen Schüler muss positiv verändert werden

„Die Schüler lernen: Ich bin verantwortlich, was da passiert“, erklärt Eva-Maria Dankes. Antonia Krause, 17, und ihre Mitschülerin Melina Landau, 18, sind in der Initiative engagiert und helfen bei der Aktion mit. „Als ich in der sechsten Klasse war, war Mobbing ein Thema. Der Schüler hat dann aber die Schule verlassen,“ sagt Antonia. Sie sagt, es mache ihr Spaß, sich innerhalb der Gruppe zu engagieren und an Veränderungen mitzuwirken.

„Wir lenken die Aufmerksamkeit auf das Thema“, ergänzt Melina. Ist ein Kind betroffen, soll es sich jedoch an den Klassenlehrer oder Schulsozialarbeiterin Sabine Baschin wenden. Die 51-Jährige macht „nichts ohne das Einverständnis der Schülerin oder des Schülers“. Wird sie aktiv, geht sie nach dem Prinzip des „No Blame Approach“ vor, das ist ein Ansatz ohne Schuldzuweisung. Es geht darum, die Situation für den Schüler positiv zu verändern. In Gesprächen kommen nicht nur die Opfer, sondern Unterstützer und Mobber zu Wort. Beide Gruppen übernehmen in der Folgezeit kleine Aufgaben, um den gemobbten Schüler wieder in die Klassengemeinschaft zurückzuholen. Sie spielen mit ihm in der Pause, beziehen ihn in Gruppenarbeit mehr ein und vieles mehr. So gelinge es langsam, den Prozess des Ausgeschlossenseins und der Anfeindung wieder umzukehren.