Bäckermeister stellen sich öffentlichem Qualitätstest. Große Vielfalt an Rezepten sorgt für Abwechslung

Pinneberg. Mit dem Stollen verhält es sich wie mit einem guten Schinken. Wenn man ihn hauchdünn schneidet, entfaltet sich der Geschmack erst richtig. Davon ist Stollenprüfer Michael Isensee überzeugt. Vor ihm auf dem Teller liegen dünne Scheiben eines Mohnstollens, den er kritisch auf Geschmack, Aussehen und Geruch testet. Wie sieht die Kruste aus? Ist der Kuchen saftig oder trocken? Sackt das Marzipan zu sehr ab?

Der Bäckermeister aus Lehrte bei Hannover bewertete am Wochenende Kreationen im Auftrag des Instituts für Qualitätssicherung, kurz IQBack. Anna Ring, die das Handwerk in der Bäckerei Dwenger in Pinneberg lernt, assistierte ihm dabei. 28 Mal reichte sie ihm ein Stück Stollen. So viele verschiedene wurden von neun der insgesamt 13 Innungsbetriebe aus dem Kreis Pinneberg zur freiwilligen Prüfung eingereicht. Die große Mehrheit bewertete er mit sehr gut, also 100 Punkten. Ein Sieger wurde nicht gekürt. Wer allerdings mit einem Produkt drei Jahre hintereinander die volle Punktzahl erreicht, wird mit einer goldenen Medaille prämiert. „Das ist aber keine Olympiade, sondern eher wie in der Schule“, sagt Isensee. Sitzen geblieben ist niemand.

Der Qualitätstest fand nicht etwa im stillen Kämmerlein statt, sondern wie schon in den 19 Jahren zuvor öffentlich im Buchladen „Bücherwurm“ an der Dingstätte. Passanten konnten sich von der Qualität der handwerklich hergestellten Bäckerstollen überzeugen und kosten. Einige nahmen gleich ein Stück am Stand der Auszubildenden zur Bäckereifachverkäuferin aus der Oberstufenklasse der Beruflichen Schule Elmshorn mit. Die Erlöse kommen dem Verein Pinneberger Kinder zu Gute. Ingrid Lange probierte einen Nussstollen. Ihr Urteil: „sehr gut“. Die Kummerfelderin wollte ihren ehemaligen Kollegen im Bücherwurm einen Besuch abstatten und ließ sich vom Kuchenduft verführen. „Ich backe Plätzchen, aber an Stollen habe ich mich noch nicht herangetraut“, sagt sie.

Mit den Tipps von Isensee dürfte allerdings nichts schiefgehen. „Damit der Puderzucker haften bleibt, sollten sie den Stollen, nachdem er mit flüssiger Butter bestrichen wurde, zunächst mit Zucker bestreuen“, erklärte er einer älteren Dame. Erst dann komme der Puderzucker drüber. Er hafte dann besser. Wer Mandeln verwendet, könne diese zuvor rösten und dann mit kochender Milch übergießen. So entfalte sich ihr volles Aroma. Kardamom und Nelken sollte man hingegen sparsam verwenden, denn deren intensiver Geschmack schlagen durch. „Gewürze müssen stimmig sein“, sagt der Profitester, der auf die Exoten wie Cranberrystollen steht. Lange Zeit sei der Stollen besonders bei Jüngeren nicht sehr beliebt gewesen. „Viele empfanden es doch als Strafe, als Kind bei der Oma den trockenen Christstollen essen zu müssen“, sagt er. Diese Zeiten seien aber vorbei. „Die Auswahl ist groß, und für jeden Geschmack etwas dabei.“ Ein guter Christstollen müsse circa eine Woche reifen. Mohn- oder Nussstollen können hingegen aufgrund des Eiweißgehaltes nach dem Anschneiden nicht lange gelagert werden.

Für Bäckermeister Jörn Dwenger ist die Weihnachtszeit die schönste und arbeitsintensivste Zeit. „Da kann jeder beweisen, was er kann“, sagt er. So sind die ersten Stollen in seinem Geschäft Chefsache. Denn der eine oder andere Trick geriet über das Jahr in Vergessenheit. „Ich muss zugeben, dass die erste Charge Nussstollen als Viehfutter endete, weil er einfiel.“ Beim Stollenbacken zählt das Detail. In diesem Fall hätte das Gebäck noch 15 Minuten im Ofen ruhen müssen. Die anderen Bleche waren dann wieder von gewohnter Qualität.

Auch ein alter Hase lernt nie aus. „Unser Pistazienstollen war etwas zu trocken geraten, bis mir der Tester den Tipp gab, dass Teig und Füllung die gleiche Konsistenz haben müssen“, sagt Dwenger. Nun werde der Pistazienstollen schön saftig. „Der freiwillige Test gibt den Bäckern die Chance, dazuzulernen“, sagt Dwenger, der selbstbewusst behauptet, im Norden würden bessere Stollen gebacken als von den Dresdner Kollegen. Die müssten ihre weltberühmten Adventsspezialitäten schon zeitig backen, um der Nachfrage des Exportschlagers nachzukommen. „Dadurch sind ihre Stollen im Advent oft trocken“, sagt er. Zudem ist für die Dresdner Stollen strikt festgelegt, wie viel von allem reinkommt. Es darf nicht weniger sein, aber auch nicht mehr. „Deren Qualitätsmerkmale übererfüllen wir“, so Dwenger

Er probiert Neues aus, legt Wert auf hochwertige Zutaten. „In diesem Jahr haben wir unter anderem eine Gewürzmischung aus Tonkabohnen, Sternanis, Vanilleschoten und Zimtstangen verwendet“, sagt Dwenger. Rosinen sind teilweise im Grand Marnier getränkt, einem französischer Likör aus karibischen Bitterorangen und Cognac. Für den Pistazienstollen verwendet er Nüsse im Verhältnis 50 : 50. Ihr Kilopreis liege bei 35 Euro. Qualität zeigt sich eben auch dort. „Mit Billigpreisen beim Discounter kann ich nicht mithalten.“