Neues Berufsbild mit zusätzlichen Kompetenzen. Azubis lernen auch in Pinneberg

Pinneberg. Aufmerksam schauen sich Vincent Rawe, 19, und Kevin Singhoff, 20, die Rettungswache Pinneberg an. Es ist ihr zukünftiger Arbeitsplatz: Die beiden angehenden Notfallsanitäter haben ihre dreijährige Ausbildung bei der Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH) begonnen. Damit gehören sie zu der ersten Generation von Azubis, die sich zum Notfallsanitäter ausbilden lassen.

„Ich wollte schon immer mit Menschen arbeiten“, sagt Vincent Rawe über seine Berufswahl. „Ich habe mich auf Berufsmessen umgesehen und so die Ausbildung zum Notfallsanitäter bei der RKiSH entdeckt.“

Nach Abschluss der Ausbildung werden er und Kevin Singhoff weitreichendere Kenntnisse haben als ihre Vorgänger im Rettungsdienst. Bisher sind dort ausgebildete Rettungsassistenten tätig, die Patienten so lange medizinisch versorgen, bis ein Arzt eintrifft. Doch die Kompetenzen der Rettungsassistenten sind begrenzt und bundesweit nicht einheitlich festgelegt.

So dürfen zum Beispiel Rettungsassistenten in Schleswig-Holstein nur dann Medikamente verabreichen, wenn eine lebensbedrohliche Situation vorliegt. Ein Patient mit Knochenbrüchen, der nicht in Lebensgefahr schwebt, bekommt also vom Rettungsassistenten kein Schmerzmittel – das muss warten, bis ein Notarzt eintrifft. Insbesondere in ländlichen Gebieten dauert das oft lange. Denn die Hilfsfrist, laut der Rettungskräfte innerhalb von zwölf Minuten am Unfallort eintreffen müssen, gilt nicht für Notärzte, die vom Rettungsdienst nachgefordert werden.

Diese schwierige Situation soll sich jetzt ändern. Denn mit Beginn dieses Jahres ist das Notfallsanitätergesetz in Kraft getreten, das das Berufsbild im Rettungsdienst neu regelt.

So werden Vincent Rawe und Kevin Singhoff invasive Maßnahmen anwenden dürfen, die bisher Ärzten vorbehalten sind. Sie können eigenverantwortlich Medikamente injizieren oder Patienten mithilfe einer sogenannten Intubation beatmen – indem sie eine Sonde in die Luftröhre einführen. Die neuen Kompetenzen der Notfallsanitäter sind in einem bundesweit gültigen Katalog aufgelistet.

Zudem wurde der Notarztindikationskatalog überarbeitet, „ausgemistet“, wie Christian Mandel sagt. Er ist Rettungsassistent und Pressesprecher bei der RKiSH. In dem Katalog ist aufgeführt, in welchen Fällen die Anwesenheit eines Notarztes unbedingt erforderlich ist.

„Der Notarzt wird in Zukunft weniger benötigt“, sagt Mandel. Aber er betont auch: „Wir wollen keinen Notarzt abschaffen.“ Dieser Meinung ist auch Dr. Guido Csomós vom Regio-Klinikum Pinneberg. Als Chefarzt für Innere Medizin ist er für die Notaufnahme zuständig. „Es geht nicht darum, den Notarzt durch den Notfallsanitäter zu ersetzen“, sagt Csomós. Er befürwortet aber, dass es nun klare Vorgaben im Gesetz gibt. „Das schafft die Möglichkeit, frühzeitig zu handeln, und bedeutet gleichzeitig mehr Rechtssicherheit für den Rettungsdienst.“

Dieser werde durch das neue Berufsbild des Notfallsanitäters gestärkt, meint Csomós. „Die neuen Rettungskräfte werden über mehr Wissen verfügen.“ Denn im Vergleich zu ihren Vorgängern, die sich nun entsprechend weiterbilden und eine Ergänzungsprüfung ablegen müssen, erhalten Notfallsanitäter wie Vincent Rawe und Kevin Singhoff eine um ein Jahr längere und umfassendere Ausbildung.

Die Umstellung der Ausbildung bedeutet einigen Aufwand für Unternehmen und Rettungsdienstschulen. Sie müssen neue Lehrpläne entwerfen, Lehrer müssen sich weiterbilden. Die meisten Kurse starten daher erst im Herbst nächsten Jahres. Bis Ende dieses Jahres ist es noch möglich, eine Ausbildung zum Rettungsassistenten zu beginnen.

Bei der RKiSH ging es schon in diesem Jahr los – hier sei schon vor Einführung des neuen Gesetzes mehr als anderswo gemacht worden, wie Christian Mandel sagt. „Unsere Rettungsassistenten wurden immer drei Jahre lang ausgebildet, unsere Rettungsdienstakademie verfügt über sehr moderne Technik.“ Dadurch sei der Schritt vom Rettungsassistenten zum Notfallsanitäter innerhalb kurzer Zeit gelungen.

Die Rettungsdienstakademie der RKiSH ist in Heide. Dort werden Vincent Rawe und Kevin Singhoff, beide kommen aus Hamburg, einen großen Teil ihrer Ausbildung verbringen – mit theoretischem und praktischem Unterricht. Kevin Singhoff bringt bereits etwas Erfahrung mit: „Ich habe einen Lehrgang zum Rettungssanitäter gemacht und bin schon ein Jahr lang in der Krankenbeförderung tätig gewesen“, sagt der 20-Jährige.

In der Ausbildung, die er nun begonnen hat, ist viel Zeit für den Unterricht an Rettungsschulen vorgesehen, aber auch für die praktische Arbeit in Kliniken. Beides zusammen umfasst zusammen 2640 Stunden, beim Rettungsassistenten waren es nur 1200 Stunden. Der Praxisteil im Rettungsdienst hingegen wird „intensiver, aber kleiner“, so Martin Kunze von der RKiSH. Als Praxisanleiter ist er für diesen Teil der Ausbildung zuständig.

Im kommenden Jahr wird er sich auch um Vincent Rawe und Kevin Singhoff kümmern, wenn diese ihr erstes, vier Wochen langes Praktikum auf der Rettungswache in Pinneberg beginnen. Erst einmal stehen aber die Schule und Praktika in Kliniken auf dem Programm.