Nabu-Experten erforschen das Gebiet der Stadt und entdecken eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen, die hier – noch – den zahlreichen Gefahren der Zivilisation trotzen

Pinneberg . An diesem ersten richtigen Herbstnachmittag des Jahres suchen sechs Augen am Ufer der Pinnau nach dem Fischotter. Die von Uwe Langrock, die von Matthias Haimerl und auch die des Reporters. Der Westwind fegt durch den Schilfgürtel, wäre er ein wenig stärker, müsste Uwe Langrock, 79, wohl seine Prinz-Heinrich-Mütze festhalten. „Nichts zu sehen“, winkt Matthias Haimerl, 53, ab. Vielleicht macht der Fischotter heute einen Ausflug zur Elbe. Wer weiß das schon. „Aber wir haben ihn hier bereits gesehen. Das steht fest“, versichern die beiden Vorsitzenden des Nabu Pinneberg.

„Schauen Sie mal hier. Alte Brennesselhalme vom Vorjahr. Sollte jeder im Garten haben. Da überwintern Larven und Puppen drin“, erklärt Langrock, ein ehemaliger Gymnasiallehrer, der seit der Gründung der Ortsgruppe der Naturschutzorganisation vor 25 Jahren mitmacht. Die naturbelassene Fläche zwischen Gewerbegebiet und Golfclub betrachten die Naturschützer als besonders wertvoll. „Sie glauben gar nicht, wer hier alles lebt. Der Igel, der Zilpzalp, Grasfrösche, Rehe und Stare“, sagt Haimerl, während er sich einen Weg durch die Schlehenhecke bahnt. „Können Sie übrigens prima Marmelade und Likör draus kochen.“ Einziger Haken an der Sache und für die Männer vom Nabu nur schwer zu verkraften: Mitten durch die Wiesen soll schon bald eine Umgehungsstraße mit Brücke führen – „obwohl wir lange dagegen gekämpft haben“.

Genau wie im Gewerbegebiet donnern auch auf dem Pinneberger Damm täglich unzählige Lastwagen und Pkw vorbei. Auch hier würde man nie ein Stückchen wildes Pinneberg vermuten. Die Nabu-Männer wissen es besser und recken ihre Köpfe unter der 750 Jahre alten Tilly-Eiche mit ihrem 6,64-Meter-Stammumfang empor. „Absolut verrückt, wie dieser Baum trotz der ganzen Abgase überleben kann. Er bietet bis zu 187 Schmetterlingsarten, 100 unterschiedlichen Käfern und bis zu 28 Vogelarten eine Heimat“, weiß Matthias Haimerl, von Beruf Sozialpädagoge, der vor sechs Jahren zum Nabu kam. Gott sei dank seien die Tiere zäh und eroberten sich die unmöglichsten Lebensräume. Wie zum Beispiel entlang der A23 oder der A7, wo Mäusebussarde und Habichte nur darauf warten, dass Mäuse oder Frösche von den Fahrzeugen erwischt werden. „Natürlich ist das nicht ganz ohne Risiko für sie.“

Hinter dem Krankenhaus im Pinneberger Fahlt zeigen Uwe Langrock und Matthias Haimerl eine weitere ökologische Perle, an der man im Alltag einfach so vorbeigeht: den Löschteich des Krankenhauses. „Voll mit Amphibien“, sagt Langrock und schaut in die Wipfel der Pappeln. „Hören Sie mal dort – der Dompfaff! Dü-dü-dü.“ Matthias Haimerl schlägt die entsprechende Seite im Kosmos-Bestimmungsbuch auf. „Da ist er. Das Buch sollte man immer dabei haben – da kann man gerade als Anfänger unheimlich viel rausziehen.“

Es riecht nach Herbst im Pinneberger Fahlt – die ersten Kastanien und Eicheln sind gefallen. Uwe Langrock stoppt an einem Zaun und zeigt auf eine grüne Schlingpflanze. „Der Knöterich. Mögen wir gar nicht. Der erdrückt alles.“ Sein Kollege Haimerl ergänzt schmunzelnd: „In Hamburg wird der weggespritzt, aber dafür hat Pinneberg bestimmt kein Geld mehr.“ Es geht weiter zum Waldrand am Haus des Sports. Die beiden Nabu-Aktivisten haben eine Buche entdeckt, die für den Laien aussieht wie eine Buche mit Spechthöhle. „Sehen Sie die dunkle Verfärbung unterhalb des Lochs den ganzen Stamm entlang? Ein ganz klares Zeichen für Fledermäuse und ihre Exkremente. Das war eine Grünspechthöhle“, erklärt Matthias Haimerl und bricht relativ unvermittelt in eine Art Wiehern aus. „So macht der Grünspecht – hört man hier ganz oft. Glückglückglückglück.“

Auf der Brücke über die Mühlenau machen die Männer Halt. „Dort hinten“, zeigt Uwe Langrock, „dort hinten ist das Rehmenfeld. Eine Mischung aus naturbelassener Fläche und Baumschulland. Soll alles bebaut werden. Schlimm.“ Der Nabu kämpft gegen die Siedlung und möchte das Rehmenfeld lieber als stadtnahes Rückzugsgebiet für viele Tierarten erhalten wissen. Doch es sieht nicht gut aus. „Vermutlich werden sie bei der Erschließung auch noch eine Stichstraße bauen“, meint Uwe Langrock und rückt seine Mütze wieder zurecht.

Er hat am Wegesrand längst das nächste, unscheinbare Detail entdeckt und lüpft den Ast eines Walnussbäumchens, um die Rinde zu begutachten. „Ah, interessant. Total aufgescheuert. Hier reiben sich junge Rehböcke den Bast vom Geweih. Wir nennen das Fegen.“ Wenige Meter weiter hat man dem Treiben der Böcke mit Plastikmanschetten Einhalt geboten.

Plötzlich ein lautes Platschen in der Mühlenau. Langrock und Haimerl zucken zusammen, die kleine Entenfamilie weiter hinten flattert erschrocken auf. Ein Hund pest durch den Fluss, um nach einem Tennisball zu schnappen, den sein Herrchen geworfen hat. Die beiden Nabu-Männer schütteln kommentarlos den Kopf. Das sehen sie überhaupt nicht gern. Wenn Hunde im Wald und auf Wiesen nicht angeleint sind und womöglich noch die Vögel von ihren Nestern aufscheuchen. Den Hundesbesitzer kümmert das wenig. „Und ich dachte schon, es wäre ein Fischotter“, seufzt Matthias Haimerl. „Schade.“