Beim Konzertgespräch aus der Reihe „2x hören“ in der Pinneberger Drostei ging es um Musik von György Ligeti

Pinneberg. „Was glauben Sie, aus wie vielen unterschiedlichen Tönen besteht der erste Satz?“, fragt Moderatorin Martina Taubenberger das Publikum in der Pinneberger Drostei. „Alle, die meinen, es waren zwölf, heben die Hand!“ Einige der Zuhörer, die am Montagabend zu dem Konzert der Reihe „2x hören“ erschienen sind, kommen zaghaft der Aufforderung nach. „Und wer glaubt, es waren elf?“ Erneut gehen einige Hände im Saal in die Höhe.

Taubenberger zählt immer weiter herunter. Bei der Frage nach einem Ton meldet sich niemand mehr. Schließlich löst Pianistin Cathy Krier auf: „Bis auf die letzte Note besteht das Stück tatsächlich nur aus einem Ton – einem A. Den Eindruck einer Melodie erweckt der Komponist Ligeti hier nur mit dem Rhythmus.“ Das Publikum ist beeindruckt. „Wahnsinn, dass man das nicht hört!“, sagt Besucherin Brigitte Friedrich erstaunt.

Genau diese Reaktion möchten die Organisatoren von „2x hören“ erreichen. Die Konzertreihe der Hamburger Körber-Stiftung soll ein Publikum ansprechen, das sich nicht durch fundiertes Fachwissen, sondern vor allem durch Neugier und Interesse an Musik auszeichnet. Das Konzept: Die Zuhörer bekommen zunächst völlig unvorbereitet ein Musikstück präsentiert. Im anschließenden Gespräch der Moderatorin mit den Musikern erfolgt eine gemeinsame Analyse, in der das Gespielte unter die Lupe genommen wird. Dabei sollen Aufbau und Intention der Musik auch für Laien verständlich gemacht werden. Am Ende des Konzertes steht schließlich das zweite Hören, das die Reihe in ihrem Namen ankündigt. Ein Programmheft gibt es erst hinterher. Dann besteht auch die Möglichkeit, sich bei einem in der Karte enthaltenen Freigetränk mit der Moderatorin und der Pianistin weiter auszutauschen.

Die Konzertveranstaltungen tragen den Titel „Keine Angst vor...“. Sie beschäftigen sich hauptsächlich mit zeitgenössischer Musik: So finden sich auf der Liste der vergangenen Konzerte Komponisten wie John Cage und Igor Strawinsky, nicht jedoch Mozart oder Beethoven. Warum das so ist? „Bei Stücken aus dem 20. Jahrhundert haben viele Menschen das Gefühl, die Musik nicht zu verstehen. Da braucht es mehr Erklärung“, meint Martina Taubenberger, die seit 2012 Moderatorin des Formats ist.

An diesem Abend in der Drostei lautet das Motto „Keine Angst vor György Ligeti“. Pianistin Cathy Krier spielt die „Musica Ricercata“, ein Frühwerk des 2006 verstorbenen Komponisten. Als Student habe sich Ligeti die Frage gestellt, was er mit einem einzigen Ton anfangen könne, erklärt Martina Taubenberger den mehr als vierzig Zuhörern. Er habe daraufhin begonnen, mit möglichst einfachen musikalischen Strukturen zu experimentieren – das Werk „Musica Ricercata“ ist das Ergebnis. Es besteht aus elf Sätzen, denen sich Taubenberger und Krier im Gespräch einzeln widmen.

Die mithilfe eines Beamers an die Wand geworfenen Partituren erleichtern es dem Publikum, die Ausführungen nachzuvollziehen. Und auch sonst scheuen Pianistin und Moderatorin keine Mühen: Alles, was Taubenberger erklärt, demonstriert Krier sogleich am Klavier. Dadurch entsteht keine trockene Theoriestunde, sondern ein angeregtes Gespräch, dem auch musikalische Laien problemlos folgen können. Selbst einfache Fachbegriffe wie zum Beispiel „pianissimo“ – sehr leise – werden erläutert. So erscheint dem aufmerksamen Zuhörer das Werk von György Ligeti beim zweiten Hören schon deutlich vertrauter, verständlicher als zuvor.

Den beiden Frauen ist anzumerken, dass sie ein eingespieltes Team sind. Sie präsentierten das Ligeti-Programm bereits in Hamburg und Luxemburg – nur zwei von sieben Orten, in denen die sogenannten Konzertgespräche bereits stattgefunden haben.

In Pinneberg gastierte die Konzertreihe jetzt zum zweiten Mal. Sie passt zu der derzeitigen Ausstellung „Sounding Pictures“, denn auch Ligeti ließ sich beim Komponieren oft von Bildern inspirieren. Veranstalterin Stefanie Fricke, Künstlerische Leiterin in der Drostei, kennt „2x hören“ aus Hamburg. „Die Musik erschließt sich nach dem Gespräch auf eine ganz andere Weise“, sagt sie. „Ich mag diesen Effekt.“

Ein wichtiger Punkt sei dabei auch, dass die Musiker selbst zu Wort kommen – so wie dieses Mal Pianistin Cathy Krier. Die junge Luxemburgerin gilt als vielversprechendes Talent in der Musikszene, wurde schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. So wurde sie zum Beispiel kürzlich von der European Concert Hall Organisation zum „Rising Star“ gekürt. Und die 29-Jährige ist ein Fan von Komponisten des 20. Jahrhunderts. „Es eröffnen sich da immer wieder neue Welten, und man muss selbst nach Lösungen suchen“, sagt Krier. „Das finde ich sehr spannend.“

Györgys Ligetis „Musica Ricercata“ spielt die Luxemburgerin schon seit vielen Jahren. Einen Lieblingssatz hat sie allerdings nicht. „Das Konzept als Ganzes ist toll“, sagt sie. Auch auf CD hat Cathy Krier das schwierige Werk bereits aufgenommen. „Die Musica Ricercata verlangt viel ab – aber es macht immer wieder Spaß.“