300 Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. Unternehmen soll Betriebsrat Maulkorb verpasst haben. Der stellt Strafanzeige

Wedel. Bahnt sich beim Pharmariesen AstraZeneca die nächste große Kündigungswelle an? 300 Mitarbeiter bangen um ihre Jobs, seit „Spiegel Online“ über drohende „einschneidende Maßnahmen“ am Sitz der Deutschlandzentrale in Wedel berichtete. Der Betriebsrat setzte die Mitarbeiter nach einem Gespräch mit dem Management in einer E-Mail über jene einschneidenden Maßnahmen in Kenntnis, wie Betriebsratschef Frank Gotzhein auf Abendblatt-Anfrage bestätigte. Details zu dem möglichen Personalabbau wurden seinen Angaben zufolge in der E-Mail aber nicht genannt. „Uns wurde mit straf- und haftungsrechtlichen Konsequenzen gedroht, wenn wir über die Inhalte des Gesprächs informieren“, sagt Gotzhein.

Das Problem: Die Firmenleitung soll laut Gotzhein den gesamten Inhalt der Besprechung als Betriebsgeheimnis deklariert haben. „Das ist relativ einmalig in Deutschland“, sagt der Betriebsratschef, dem derzeit die Hände gebunden sind, bis die Lage geklärt ist. Das sollen die Gerichte jetzt tun. „Wir haben Strafanzeige gegen die Geschäftsführung gestellt und Klage beim Arbeitsgericht wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit erhoben“, so Gotzhein. Bis ein Urteil gefällt ist, will sich Gotzhein nicht zu den Details des möglichen Stellenabbaus äußern.

Details gibt es auch von AstraZeneca nicht. Allerdings auch kein Dementi zu einem möglichen Stellenabbau. „Die Geschäftsführung hat seit geraumer Zeit angekündigt, dass AstraZeneca Deutschland sich zukunftsfest auf die Bedingungen im deutschen Markt ausrichten will“, erklärt Sebastian Schaffer, Pressesprecher bei AstraZeneca Deutschland. Selbstverständlich würden solche Veränderungen vorher mit dem Betriebsrat erörtert.

Zu dem offenkundig verhängten Maulkorb sagt er: „Es ist allgemein üblich, dass diese Beratungen zunächst vertraulich stattfinden. Das dient den Interessen des Unternehmens ebenso wie dem verantwortungsvollen Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ergebnissen andauernder interner Beratungen greifen wir nicht vor. Spekulationen kommentieren wir nicht.“ Sobald die Gespräche zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat zu klaren Resultaten geführt hätten, würden die Mitarbeiter informiert – und dann auch die Öffentlichkeit.

Nach Abendblatt-Informationen geht es in den Gesprächen um die Zukunft des Außendienstes. Von den Stellenabbau-Plänen sollen 300 Mitarbeiter von AstraZeneca betroffen sein, die vor allem Diabetes-Medikamente für das Pharmaunternehmen vertreiben. Schon seit etwa drei Jahren greift AstraZeneca auf Leiharbeitsfirmen zurück, die den Außendienst verstärkt unterstützen. Jetzt greift die Sorge unter der Stammbelegschaft um sich, dass sie durch billigere und jüngere Mitarbeiter eines externen Dienstleisters ersetzt werden sollen.

Klar ist, dass der britisch-schwedische Pharmariese in den vergangenen Jahren mit kräftigen Umsatzeinbußen zu kämpfen hatte. Ein Grund dafür ist, dass der Patentschutz von umsatzstarken älteren Medikamenten abgelaufen ist oder noch ablaufen wird. Neu entwickelte Präparate blieben hinter den Erwartungen des Unternehmens zurück. Der Konzern verordnete den Sparkurs. Seit 2007 baut AstraZeneca kontinuierlich Mitarbeiter ab. Zuletzt verkündete die Unternehmensleitung Ende 2012 einen radikalen Einschnitt. Damals wurde den 1025 Angestellten in Deutschland verkündet, dass fast jede dritte Stelle gestrichen wird – 89 am Standort in Wedel.

Drei Jahre zuvor mussten ein Drittel der 332 Mitarbeiter im Innendienst des Pharmaunternehmens gehen. 2007 waren 440 Arbeitsplätze im Außendienst gestrichen und eine Produktionsstätte im baden-württembergischen Plankstadt mit 400 Beschäftigten verkauft worden. Allein der vor vier Jahren beschlossene Personalabbau brachte laut Unternehmen eine Einsparung im zweistelligen Millionenbereich.

Negativ auf die Stimmung vor allem der Wedeler Mitarbeiter wirkten sich auch die Fusionsgerüchte mit dem amerikanische Viagrahersteller Pfizer aus. Denn der Pharmagigant aus Übersee hat seine Deutschlandzentrale in Berlin. Ob bei einer Übernahme der Wedeler Standort erhalten bliebe, ist fraglich. Pfizer hätte sich die Allianz mit AstraZeneca rund 100 Milliarden Dollar kosten lassen, doch die Briten lehnten ab. Nach britischem Recht gibt es eine Schonfrist für weitere auch feindliche Übernahmeversuche, die läuft allerdings im November aus.

Klar ist, dass sich Wedels größter Steuerzahler weiter in einer Umbruchphase befindet. Hoffnung für den Wedeler Standort macht, dass kürzlich die Entscheidung fiel, zumindest den Produktionsbereich auszubauen. Von Wedel aus wird von Dezember an ein großer Teil des europäischen Marktes mit Medikamenten beliefert, was 30 neue Arbeitsplätze in Wedel schafft.