Eine sichere Burg für vernachlässigte und traumatisierte Kinder. Informationsabende des Kreises geplant

Elmshorn. Zwei blonde Mädchen sausen mit dem Tretauto über den Tannenhof in Lutzhorn. Andere hängen im Sicherheitsgurt an der Kletterwand. Clown Mücke holt sich „Knackwurst“ Jamal nach vorn. Das Kind soll ihm assistieren. Die Jungen und Mädchen im Publikum klatschen und lachen ausgelassen. Dass ihre Kindheit bislang alles andere als unbeschwert war, sieht man ihnen nicht an. Viele haben Gewalt und Verwahrlosung erlebt und mussten aus ihren Familien herausgeholt werden.

Auf dem Sommerfest in Lutzhorn, zu dem der Kreis Pinneberg Pflegeeltern und „ihre“ Kinder eingeladen hat, können sie Kummer und Sorgen vergessen. Doch Pflegefamilien sind rar, obwohl sie dringend gebraucht werden. Der Fachdienst Jugend des Kreises sucht dauerhaft engagierte Menschen, die Pflegekinder bei sich aufnehmen wollen und in ihrer Entwicklung liebevoll begleiten und fördern können.

Ein Beispiel dafür ist Walter Zahn, 59, aus Elmshorn, der mit seiner Frau Angelika 15 Pflegekinder in den vergangenen 25 Jahren groß gezogen hat. Der Erste Vorsitzende des Vereins für Pflege- und Adoptiveltern gehört damit zum Urgestein der 190 Pflegefamilien im Kreis. Die meisten Kinder wohnen bis zu ihrem 18. Geburtstag bei den Zahns. Zu vielen haben sie auch im Erwachsenenalter noch Kontakt. „Unseren früheren Pflegesohn Enrico haben wir sogar adoptiert“, sagt Zahn. Der sehbehinderte Junge wuchs in der DDR in einem Heim für geistig Behinderte auf. Mittlerweile ist er 30 Jahre alt und hat sein Studium der Pädagogik und Soziologie abgeschlossen. Drei Jungs leben derzeit zur Pflege in Zahns Haus. Der Jüngste ist sieben Jahre alt. „Kai soll unser letztes Pflegekind sein.“.

Die Ehe von Sylvia Erich und ihrem Mann blieb kinderlos. „Unser Traum war es aber immer, möglichst viel Leben im Haus zu haben“, sagt die Heilpädagogin, die vor sieben Jahren wegen der Liebe aus der Schweiz in den Norden zog. Das Paar aus Bokholt-Hanredder hat zwei Mädchen, 8 und 4, zur Pflege. Vanessa kam 2009 mit drei Jahren in die Familie, Chantal mit elf Monaten.

Jedes Kind bringt seine persönliche Geschichte mit in die Pflegefamilie. Die meisten kommen, weil sie in ihren Herkunftsfamilien vernachlässigt wurden. Die Eltern nehmen häufig Drogen oder sind alkoholabhängig. Einige Kinder haben schlimme körperliche Misshandlungen erlebt. Die Umstände ändern sich in den Herkunftsfamilien nur selten. Doch die Möglichkeit besteht, und für die Kinder ist es wichtig, über ihre Herkunft Bescheid zu wissen. So müssen Pflegeeltern Verständnis für die Herkunftsfamilie aufbringen und falls nötig, auch bei der Rückführung helfen. Eine Aufgabe, vor der viele potenzielle Pflegeeltern zurückschrecken.

Auch für Sylvia Erich gab es eine Zeit, wo sie fürchtete, Chantal an die leibliche Mutter abgeben zu müssen. Doch ein Gericht entschied anders. Mittlerweile ist auch das Verhältnis entspannt. „Irgendwann hat sie mich nicht mehr als Konkurrentin wahrgenommen“, sagt Erich. Das Mädchen nennt beide Frauen Mama. „Schwierig ist das Tauziehen um die Kinder“, so Zahn. Manchmal redeten die leiblichen Eltern den Kindern ein, dass sie nur kurze Zeit in der anderen Familie blieben. Dann fällt es den Kindern schwer, in der Pflegefamilie anzukommen. „Sobald die Herkunftsfamilien die Kinder frei geben und einsehen, dass sie nicht für das Kind sorgen können, wird es für alle Beteiligten leichter.“

Auch in anderer Hinsicht stoßen Pflegeeltern gelegentlich an ihre Grenzen. „Die ersten Nächte mit Chantal waren eine Katastrophe. Sie hat nur geweint und ließ sich von mir nicht trösten“, sagt Erich. Das elf Monate alte Mädchen wollte zu ihrer Bereitschaftspflegemutter zurück, bei der sie zuvor ein halbes Jahr gelebt hatte. Solange nicht geklärt ist, ob die Kinder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren können oder für sie ein neuer Lebensmittelpunkt gesucht werden muss, bleiben sie in der Bereitschaftspflege.

Die Unterbringung soll nicht länger als sechs Wochen dauern. „Doch das ist utopisch“, sagt Zahn. Gehen die Eltern beispielsweise vor Gericht, verzögert sich der Aufenthalt des Kindes. Manche bleiben mehrere Monate, gewöhnen sich an ihre Bereitschaftspflegeeltern und müssen dann wieder Abschied nehmen. Besonders für Kleinkinder ist das traumatisch. Doch Pflegeeltern werden mit solchen schwierigen Situationen nicht allein gelassen. In Schleswig-Holstein sei die Arbeit von Kreis und Jugendamt vorbildlich, so Zahn. Sie organisieren Themenabende, Elternwerkstätten und Weiterbildungen für Pflegeeltern. Der Verein für Pflege- und Adoptiveltern organisiert zudem Treffen und Ausflüge und veranstaltet Infoabende für potenzielle Pflegeeltern.

Vor der Aufnahme eines Kindes und während der gesamten Pflegezeit werden Pflegeeltern von den Experten des Kreises begleitet. Die Mitarbeiter klären nicht nur über rechtliche und finanzielle Fragen auf, sie unterstützen die Familien auch bei allen anderen Fragen, Problemen und Sorgen.

Im September veranstaltet der Fachdienst Jugend/Soziale Dienste Informationsabende. Wer sich für die Pflegeelternschaft interessiert, wende sich an Jasper Jensen vom Team Pflegestellen und Adoptionen unter 04121/45023423 oder per Email an j.jensen@kreis-pinneberg.de.