Rellinger Kirche erinnert täglich an Kriege im Irak und in der Ukraine. Pastor nennt das ein „Zeichen der Hilflosigkeit“

Rellingen. Wie weit weg sind Terror und Vertreibung im Irak, wie weit die Krise in der Ostukraine? Sehr, sehr weit weg, denkt der, der einen Spaziergang durch Rellingen macht. Die idyllische, grüne Gemeinde, eine der wohlhabendsten im keineswegs armen Schleswig-Holstein, ist so etwas wie das Gegenbild zu den derzeitigen Krisengebieten in der Welt. Genau hier rückt die evangelische Kirche jetzt aber das Thema Krieg mit einer besonderen Aktion ins Bewusstsein. Jeden Tag um 12 Uhr läutet für fünf Minuten die Gebetsglocke im Kirchturm.

Die Menschen seien aufgerufen, inne zu halten und sich ihre Gedanken zu machen, sagt Pastor Lennart Berndt, der die Aktion gemeinsam mit seinen Kolleginnen Martje Kruse und Iris Finnern ins Leben gerufen hat. Ein „Fingerzeig gegen Gleichgültigkeit“ sei das Läuten. Was es nicht ist: ein Aufruf zum Protest, zu Mahnwachen, Demonstrationen. Die Initiatoren haben keine einfachen Antworten auf die Probleme in der Welt, keine Losungen und Parolen. Das macht die Aktion so besonders und einzigartig im Kreis Pinneberg.

„Wir hatten das Gefühl, dass die Welt immer mehr aus den Fugen gerät, dass wir ein Zeichen setzen wollen“, sagt Lennart Berndt über den Beginn der Aktion. Besonders die Krisen im Irak und in der Ost-Ukraine seien erschreckend, 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten und 75 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Pastor Berndt gibt aber auch unumwunden zu, dass diese Probleme ihn ratlos machen. Bezogen auf die Lage im Irak sagt er: Die Waffenlieferungen in die Region sehe ich als Form der politischen Hilflosigkeit. Andererseits weiß ich auch nicht, was die Alternative wäre.“ Auf die Frage, ob er Pazifist sei, sagt er: „Im ganz strengen Sinne nicht. Meiner Meinung nach muss man zur Verhinderung eines Völkermords militärisches Handeln als letztes Mittel zumindest mitbedenken.“ Dann sagt er aber auch: „Jesus sagt, man soll die Feinde lieben. Eine innere Stimme in mir fragt sich, warum es nicht so einfach sein kann. Und die Tatsache, dass das so ist, macht mich traurig.“

Es ist ein innerer Missklang, eine Zerrissenheit und eine Hilflosigkeit, die der promovierte Theologe beschreibt. Und das tägliche Läuten, so Berndt, „ist auch Ausdruck dieser Hilflosigkeit“. Ein Gefühl, das derzeit offenbar auch andere haben. Berndt: „Mir scheint, dass wir mit der Aktion einen Nerv getroffen haben.“ Er und seine Kolleginnen würden häufig auf das Läuten angesprochen, beim Einkaufen im Supermarkt und auch vor und nach den Gottesdiensten. Der Pastor nennt ein Beispiel: „Ein Mann Mitte 70 hat mich angesprochen. Er hatte Tränen in den Augen und sagte, dass er Angst habe, dass der Krieg jetzt wieder so nah sei.“

Lennart Berndt und seine beiden Kolleginnen widmen sich dem Thema jetzt auch stärker in den Predigten. Jeden Donnerstag lädt die Rellinger Kirche für 19 Uhr zur Offenen Kirche ein. Die Andacht endet seit Kurzem mit dem Kirchenlied „Dona nobis pacem“, einer Bitte um Frieden. Die Gebetsglocke der spätbarocken Kirche soll noch bis Sonntag, 16. November, täglich zur Mittagszeit läuten. An diesem Tag, dem Volkstrauertag, soll die Aktion mit besonderen Predigten zum Thema Krieg und Frieden enden.

Die Rellinger Kirche will, so Berndt, auch die „schwierige Geschichte“ des 16. Novembers thematisieren, der 1919 als Feiertag eingeführt wurde und immer wieder von revanchistischen Kreisen als Forum genutzt wurde. Auch auf die Rolle der evangelischen Kirche zu Beginn des Ersten Weltkrieges soll eingegangen werden. „Vor 100 Jahren waren viele junge Pastoren sehr deutschnational, bejahten den Krieg“, sagt der 36-Jährige. Heute hingegen sei die Kirche noch stark durch die Friedensbewegung der 80er-Jahre geprägt. Das ist ein Erbe, das er pflegen will: „Die Aufgabe ist es, das in einer eher unpolitischen Zeit, nicht zu verlieren.“