Tag des Offenen Denkmals: Führungen am Sonntag durch die Quickborner Siedlung des Star-Architekten Richard Neutra

Quickborn. Auf den ersten Blick wirkt das Haus an der Quickborner Marienhöhe 95 unscheinbar. Ein zweigeschossiger Backsteinbau mit überspringendem Flachdach und hellgrau gestrichener Haustür ist von der Straße aus sichtbar. Nichts Ungewöhnliches für eine norddeutsche Kleinstadt. Erst beim Eintreten wird klar: Dieses Haus hat ein Könner entworfen. Im Wohnzimmer dominiert eine raumhohe Fensterfassade von zehn Metern Breite, die den Übergang zum Garten scheinbar verschmelzen lässt. Die Zimmer sind großzügig geschnitten und lichtdurchflutet. Holzparkett, würfelförmig verlegt, passt zur klar strukturierten Linienführung des Gebäudes.

Das architektonische Kleinod ist Teil einer Häusersiedlung, die bis 1964 nach Entwürfen des österreichisch-amerikanischen Star-Architekten Richard Neutra entstand. Die Kolonie umfasst 67 zumeist eingeschossige Gebäude, die seit 2005 unter Denkmalschutz stehen. Für Sonntag, 14. September, sind anlässlich des bundesweiten Tags des Offenen Denkmals zwei Führungen durch die Wohnanlage geplant. Auch das Haus an der Marienhöhe 95 sowie ein anderes werden zugänglich sein. Abgesehen von der Neutra-Siedlung beteiligen sich im Kreis Pinneberg acht weitere Kulturdenkmäler am Aktionstag. Die Veranstaltung steht in diesem Jahr unter dem Motto „Farbe“.

Dem Motto des Denkmaltags werden auch die Gebäude der Neutra-Siedlung gerecht. „Durch die großen Fenster holen wir uns das Grün des Gartens rein“, erklärt Kolja Sangkuhl, der vor drei Jahren das Haus an der Marienhöhe 95 kaufte. Garten und Wohnbereich harmonisch miteinander zu verbinden war die erklärte Maxime von Richard Neutra. Elegant komponierte der in Wien geborene und 1923 in die USA emigrierte Architekt seine Häuser in die Umgebung hinein. Er verpasste seinen Werken raumhohe Schiebefenster mit schmalen Rahmen, die das Drinnen und Draußen optisch ineinander übergehen lassen. Oft setzte er flache Pools auf die Terrassen, die den Himmel in den Wohnbereich reflektieren. Typisch für Neutra ist auch eine Stützkonstruktion an der Außenwand, die als „Spider-Leg“ (Spinnenbein) in die Architekturgeschichte einging.

Der Meister selbst bezeichnete seinen Stil als „biorealistische Architektur“. Andere sehen in Neutra einen der bedeutendsten Vertreter der klassischen Moderne.

Seit den 1930er-Jahren baute Neutra vor allem in Südkalifornien. Oft waren es Luxusvillen auf prächtigen Anwesen, die noch heute für mehrere Millionen Dollar gehandelt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg Neutras Bekanntheitsgrad auch in Europa. Bis zu seinem Tod 1970 entstanden östlich des Atlantiks sieben von ihm geplante Villen. Dazu kamen 109 Häuser in Quickborn und Walldorf, einer Schwestersiedlung bei Frankfurt am Main.

Den Auftrag für den Entwurf der beiden Kolonien in Deutschland erhielt Neutra von einer Hamburger Wohnungsbaugesellschaft. Der Plan sah moderne Häuser vor, die selbst auf Grundstücken von 530 bis 1380 Quadratmetern großzügig wirken sollten. Neun verschiedene Gebäudetypen entstanden. Großzügig ging Neutra auch mit den Details um: Beispielsweise ließ er Deckenvertäfelungen aus Douglasienholz einbauen und die Heizungen aus den USA importieren. Entsprechend explodierten die Baukosten. Am Ende betrug der Kaufpreis der Gebäude 162.000 bis 249.000 Mark – zu teuer für den Mittelstand, für den die Siedlung konzipiert worden war. Die Vermarktung des Projekts geriet zum Problem. Ein Teil der ursprünglich geplanten Häuser wurde daher nicht mehr gebaut.

2005 wurde die 22 Hektar große Kult-Siedlung unter Denkmalschutz gestellt. Einige Bewohner wehrten sich dagegen, weil mit der Unterschutzstellung strengere und damit teurere Umbauauflagen verbunden sind. Die bekam auch Sangkuhl zu spüren. Der Familienvater musste sich während seiner knapp zwei Jahre dauernden Renovierung penibel am Originalzustand orientieren. Eine besondere Herausforderung stellte die energetische Sanierung dar, zumal das kalifornisch inspirierte Design mit Panoramafenster und Flachdach den erschwerten Bedingungen des norddeutschen Winters standhalten muss. Sangkuhl ließ die Einfachverglasung durch Isolierscheiben ersetzen, Wände und Decken bekamen eine Dämmung. Mit einer Solaranlage will er die Energiekosten eingrenzen. Für die Sanierung bezahlte Sangkuhl schlussendlich „einen sechsstelligen Betrag“.

Der Aufwand habe sich gelohnt, findet Sangkuhl. Mit dem Ergebnis sei er rundum zufrieden. „Wir leben in einem Denkmal. Das ist richtig cool“.