Ellerbeker besitzt drei der seltenen Laufvögel, die in jeder Beziehung ihre eigenen Wege gehen. Besonders der Gockel ist erstaunlich emanzipiert

Ellerbek. Wenn die Albino-Henne von Alwin Wilkens richtig aufdreht, würde Sebastian Vettel mit seinem Formel-1-Fahrzeug ein wenig Mühe haben, mitzuhalten. Zumindest auf den ersten Metern. Denn die tierische Rennmaschine vom Typ Nandu verfügt – wie alle Laufvögel – dank ihrer muskulösen langen Beine über ein beeindruckendes Beschleunigungsvermögen. „Nandus erreichen in wenigen Sekunden eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 60 km/h”, sagt der Ellerbeker Hobby-Züchter.

An Auslauf fehlt es dem Großvogel nicht. Auf dem 7000 Quadratmeter großen Grundstück steht der schneeweißen, ein Jahr alten, noch nicht geschlechtsreifen Nandu-Henne und ihrer drei Jahre alten „Stallgefährtin” eine eingezäunte Wiesenfläche zur Verfügung, um richtig Kniegas geben zu können. Aufs Tempo drücken die Laufvögel vor allem, wenn es für sie gefährlich zu werden scheint. Dann suchen sie auch bei Annäherung seltsamer Menschen, wie des Abendblatt-Reporters mit der Kamera, ihr Heil in der Flucht.

Wilkens’ zweite Nandu-Dame mit elegantem grauen Gefieder ist nicht ganz so gut zu Fuß. „Das ist meine Humpel-Henne”, sagt er schmunzelnd. Die inzwischen verheilte Verletzung stammt von einem Unfall mit einem Teil des Stalls. Dies tat allerdings einer soliden Beziehung keinen Abbruch. Dritter im Bunde, und normalerweise Chef auf der Wiese, ist ein dreijähriger Nandu-Hahn. Wenn er aufsteht, überragt er sein Damen-Duo deutlich.

Doch gegenwärtig hat der Hahn andere Dinge zu tun, als sich zu erheben. Er hockt, von ein paar Unterbrechungen zum Fressen abgesehen, lieber den ganzen Tag lang und auch nachts auf dem Boden und brütet. Dabei ist der Typ ist absolut kein Weichei. „Bei Nandus übernehmen immer die Hähne das Brüten”, erläutert Wilkens. Auch für den Nestbau am Rande des Grundstücks war der emanzipierte Groß-Gockel, anders als die Hähne auf dem Hühnerhof, zuständig. Mit seinen Füßen buddelte er im hohen Gras eine Mulde in den Boden, polsterte den Nistplatz mit Federn aus und ließ die Nandu-Henne drei Eier ins Nest legen. Schön, wenn sich bei der Paarung der Spaß an der Fortpflanzung mit Verantwortungsbewusstsein paart.

Zuvor haben der Hahn und die Dame ihr Vergnügen beim Liebesspiel im Wonnemonat Mai gehabt. Dabei kommt dann doch der Macho durch. „Er plustert sich auf, schlägt mit den Flügeln und stolziert herum, um die Henne zu beeindrucken“, sagt der Hobby-Züchter. Jetzt rechnet Wilkens damit, dass nach dem 20. August wohl der Nachwuchs schlüpfen wird.

Für den 74 Jahre alten früheren Inhaber eines Gartenbaubetriebs sind die Nandus die bisher größte Vogelart in seinem Besitz. Früher hat er auch wertvolle Rosenkopfsittiche gezüchtet und Brieftauben gehabt. Außer den Nandus lebt noch ein Paar der sogenannten Unzertrennlichen, eine kleine Papageienart, in einer Voliere im Garten.

Vor drei Jahren hat Wilkens seine ersten Nandus bei einem Züchter gekauft. Die Exoten sind zwar optisch dem fast doppelt so großen afrikanischen Strauß ähnlich, gehören aber ebenso wie die Emus Australiens nicht zur Verwandtschaft des größten Laufvogels. Biologisch verwandt sind Nandus trotz ihrer Laufvogelgestalt mit den kleinen, sehr scheuen Steißhühnern, die in den Wäldern Südamerikas leben. Normalerweise sind die je nach Art bis zu einer Scheitelhöhe von 1,40 Meter großen flugunfähigen Nandus in Südamerika beheimatet. Doch im Jahr 2000 gelang es in Groß-Grönau bei Lübeck drei Paaren, aus einem Zuchtgehege auszubrechen. Sie siedelten sich im Wakenitztal an und vermehrten sich fleißig. Schon fünf Jahre nach dem Ausbruch gab es 60 bis 70 Nandus. Aktuell wird der Bestand in freier Wildbahn auf 140 bis 300 Exemplare geschätzt.

Manche Landwirte beklagen die wirtschaftlichen Schäden, die Nandus auf ihren Feldern anrichten können. Auch in Autounfälle waren ausgebüxte Laufvögel schon verwickelt. Wilkens hat für sein Trio eine Versicherung gefunden. Doch bisher konnten und wollten die drei Ellerbeker das eingezäunte Areal noch nicht verlassen.

Trotz norddeutscher Witterung halten sich die Nandus sogar während des Winters im Freien auf. Ein hölzerner Unterstand wird von den Großvögeln verschmäht. Im Gegensatz zu ihren wild lebenden Verwandten, müssen sich die Ellerbeker Nandus kaum selbst ums Futter kümmern.

Neben dem Gras von der Wiese gibt es vom Gastgeber täglich eimerweise Nahrung. Die Mischung besteht aus Toastbrot, Salat, Körnerfutter und – was Nandus besonders mögen – Rhabarberstückchen.

Vor einem Jahr konnte sich Wilkens über fünf Nandu-Küken freuen. Diesmal werden nur drei erwartet. Den Nachwuchs verkauft der Züchter übers Internet. Der Stückpreis liegt bei 120 Euro. Unterm Strich werden damit allerdings die Kosten und der Zeitaufwand nicht gedeckt. Doch das steht für Alwin Wilkens auch nicht im Vordergrund. Er hat einfach Freude daran, die Nandus in seinem geräumigen Garten zu haben. Während in Südamerika die Haut der Laufvögel früher zu Leder verarbeitet wurde und die Federn als Mode-Accessoires Verwendung fanden, ist hierzulande der Nutzen begrenzt.

Immerhin: Die Eier kann man essen. Wilkens hat es probiert: „Schmeckt wie ein Hühnerei.” Allerdings ist ein Nandu-Ei ergiebiger. Die Menge entspreche zehn bis 15 Hühnereiern, sagt Wilkens. Na denn, guten Appetit!