Nur jede fünfte Praxis ist für Rollstuhlfahrer problemlos zu erreichen. Sozialverband im Kreis fordert Umdenken

Kreis Pinneberg. Die Gemeinschaftspraxis von Dr. Mechthild Feilcke-Marx und Dr. Wolfgang Marx in Elmshorn liegt im ersten Stock des Ärztehauses in der Schulstraße. Über den Fahrstuhl können auch Rollstuhlfahrer die Praxis erreichen. Vor dem Empfangstresen, dem Warteraum und den Behandlungszimmern ist genug Platz zum Rangieren. „Wir haben einige Patienten, die im Rollstuhl sitzen und viele, die auf einen Rollator angewiesen sind“, sagt die Allgemeinmedizinerin Mechthild Feilcke-Marx, die sich die Räume mit ihrem Mann, einem Internisten, teilt. Der hat die Praxis vor 26 Jahren von einem Kollegen übernommen. Für die Ärztin ist es selbstverständlich, die Praxis möglichst barrierefrei zu gestalten. Allerdings stößt sie baulich an Grenzen: „Der Waschraum stammt aus den 70er-Jahren und ist für Rollstühle zu schmal.“

Nur jede fünfte Arztpraxis ist laut Bundesgesundheitsministerium behindertengerecht zugänglich. So sind bei den Allgemeinmedizinern 22 Prozent auf Rollstuhlfahrer eingerichtet. Schlusslicht im Ranking bilden Zahnärzte. Deren Praxen sind zu 15 Prozent barrierefrei. Die Zahlen wurden bekannt, weil Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, bei der Regierung nachfragte.

Im Kreis Pinneberg dürfte die Situation nicht besser aussehen. Regional wurden Zahlen bisher aber nicht erhoben. Daher fordert der Sozialverband im Kreis Pinneberg die Kassenärztliche Vereinigung auf, eine Bestandsaufnahme zur Barrierefreiheit der Arztpraxen auf lokaler Ebene vorzulegen und mit einem Zeit- und Aktionsplan für den Abbau von baulichen Hürden zu sorgen. „Für schwerbehinderte Menschen ist es immer wieder eine große Herausforderung, von A nach B zu kommen. Wenn sogar der Gang zum Arzt zu einem Hürdenlauf wird, wird Menschen Energie geraubt, die im Alltag besonders viel Kraft brauchen“, sagt Gerhard Renner, Vorsitzender des Kreisverbandes und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes. Praxisräume seien vielfach für Rollstuhlfahrer unerreichbar, auch Parkplätze für Behinderte, leicht zugängliche Toiletten oder spezielle Untersuchungsmöbel seien eher selten.

„Mehr als zehn Prozent der Menschen haben eine Behinderung. Der demografische Wandel lässt den Anteil älterer Bürger steigen – das müssen auch Ärzte in ihrer Geschäfts- und Investitionspolitik berücksichtigen“, sagt Renner. Der Bund müsse dazu Anreize, Förder- und Sanktionsmöglichkeiten schaffen. Eine solche Maßnahme könne zum Beispiel sein, dass die Bauaufsichtsbehörden künftig Arztpraxen nur genehmigen, wenn diese einen behindertengerechten Zugang nachweisen. Renner fordert zudem Ärzte im Kreis auf, Barrieren abzubauen, gegebenenfalls durch bauliche Maßnahmen. Die Kassenärztliche Vereinigung müsse zudem Aufklärungsarbeit leisten.

„Uns ist das Thema Barrierefreiheit sehr wichtig“, sagt Delf Kröger von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein. Die Interessenvertretung hat in einer Broschüre Hinweise zur baurechtlichen Planung von Arztpraxen zusammengefasst. Maßgeblich ist die Landesbauordnung für das Land Schleswig-Holstein. Soll Wohnraum in Praxisräume umgewandelt werden, bedeutet dies eine Nutzungsänderung, die genehmigt werden muss, und zwar auch dann, wenn keine baulichen Änderungen damit verbunden sind. „Wir raten den Ärzten, sich mit dem zuständigen Bauamt in Verbindung zu setzen, wenn sie eine genehmigungspflichtige Änderung der baulichen Gegebenheiten planen oder sie Praxisräume neu anmieten und ausbauen wollen“, sagt Kröger.

Laut Landesbauordnung müssen Eingangstüren von neu gebauten Arztpraxen und mindestens ein Behandlungszimmer rollstuhlgerecht sein. Außerdem muss ein Behinderten-WC vorhanden sein. Die örtlich zuständigen Bauämter sowie die staatliche Arbeitsschutzbehörde bei der Unfallkasse Nord in Lübeck seien jedoch zu Kompromissen bereit, wenn sich die Vorgaben nicht realisieren ließen. Denn die können unter Umständen Tausende Euro kosten. „Bei gemieteten Räumen sind Ärzte auf Unterstützung der Vermieter angewiesen“, sagt er. Andere Ärzte stünden vielleicht kurz vor dem Ruhestand und würden deswegen keine großen Summen in einen Umbau investieren. Man müsse immer individuell für jede Praxis schauen, was möglich ist – angepasst an die räumliche Situation. „Generell sind die Ärzte aber daran interessiert, dass ihre Patienten sie auch erreichen können“, sagt Kröger.

In sechs Jahren sollen Arztpraxen zunehmend barrierefrei zugänglich werden. So sieht es der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der Uno-Behindertenrechtskonvention vor. Sie sichert Menschen mit Handicap die „volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft“ zu. Das Ziel scheint längst nicht in greifbarer Nähe.

Doch auch mit kleineren Maßnahmen lassen sich nach und nach Barrieren abbauen. Ist die Garderobe auch für Rollstuhlfahrer erreichbar? Gibt es Handgriffe entlang der Wand? Sind Behindertenparkplätze vor der Praxis ausgewiesen? Lässt sich die Tür zum Sanitärbereich im Notfall von außen öffnen? Tipps wie diese hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung in der Broschüre „Barrieren abbauen“ für Ärzte zusammengestellt.

Wer wissen möchte, welche Arztpraxis barrierefrei erreichbar ist, kann unter www.arztfindex.de bestimmten Suchkriterien wie zum Beispiel Fachgebiet, Ort und Fremdsprache eingeben. Unter „Wünsche zur Praxisorganisation“ lässt sich feststellen, ob die Praxis ebenerdig ist oder eine Rampe besitzt.