Ehepaar Erdmann hat in Klein Offenseth-Sparrieshoop schon 1500 kranke und verwaiste Zöglinge wieder aufgepäppelt

Auf der Treppe zur Veranda sitzt eine junge Krähe und reißt den Schnabel auf. Sie schreit so laut, dass eine Unterhaltung erst möglich ist, als Katharina Erdmann einen Brei aus Katzenfutter und Insekten füttert. Die acht Wochen alte Krähe wird allmählich flügge. „Die Tür zur Voliere steht offen“, sagt Erdmann, die gemeinsam mit ihrem Mann Christian vor zwei Jahren in Klein Offenseth-Sparrieshoop die Wildtierstation Hamburg/ Schleswig-Holstein aufgebaut hat. Der Zögling kann selbst entscheiden, wann er die Flatter macht. Einige nutzen die Gelegenheit sofort und entschwinden für immer, andere hocken noch ein paar Tage im Käfig, bevor sie den Schritt in die Freiheit wagen, manche kehren in den ersten Tagen zum Fressen zurück.

Immer wieder bringen Menschen dem Ehepaar verletzte, kranke und verwaiste Tiere. „Sie kommen durch Autoverkehr, Windkraftanlagen, Stacheldraht, Verunreinigungen in Gewässern oder beim Flug gegen Fensterscheiben zu Schaden“, sagt die freiberufliche Grafikerin, die unter anderem den Falknerschein besitzt und auf 400-Euro-Basis in der Wildtierstation arbeitet – Vollzeit, denn Erdmanns wohnen auch dort. Privates und Arbeit sind für die frischgebackenen Eltern untrennbar miteinander verwoben. Während die Zwillingsmädchen draußen im Kinderwagen schlummern, managt Katharina Erdmann Telefon und Büro.

Immer wieder müssen Tiere auch aus Wohnungen geholt werden, in denen sie nicht artgerecht gehalten werden, so wie Stinktier Klitschko, der auf einem leeren Balkon im Neubaublock vor sich hin vegetierte. „Die Besitzer hatten ihm nicht einmal einen Schlafplatz hergerichtet“, sagt Christian Erdmann, der in Soltau für die Wildtierhilfe arbeitete. Da Auswildern für Klitschko nicht in Frage kommt – das Raubtier ist in Amerika beheimatet – muss der Zootierpfleger einen passenden Tierpark für ihn finden.

Das Paar gründete 2010 die Wildtierstation Hamburg als gemeinnützige GmbH. Zwei Jahre später kauften sie das 2,6 Hektar große Areal an der Grenze zum Elmshorner Stadtteil Sibirien – allen behördlichen Hürden zum Trotz. So rief der Bau eines Unterstands für beschlagnahmte Schafe das örtliche Bauamt auf den Plan. „Wir mussten als Ausgleich für 1000 Euro Bäume pflanzen, weil wir mit dem Unterstand angeblich den Boden versiegeln“, sagt er. Für eine Tierschutzorganisation, die sich zum großen Teil aus Spenden finanziert, eine Maßnahme, die schmerzte. Die 100.000 Euro, die jährlich von der Stiftung für Tierschutz „Vier Pfoten“ kommen, decken Personal- und Futterkosten. Zwei Auszubildende, zwei Freiwilligendienstler und zwei Beschäftigte auf Geringfügigbasis beschäftigen die Erdmanns. Außerdem helfen Ehrenamtliche mit – darunter auch Jäger. Auch mit dem Hamburger Franziskustierheim, dem Elmshorner Tierheim sowie anderen Wildtierstationen und Tierschutzorganisationen arbeiten sie zusammen. Die Tierklinik in Uetersen betreut ihre medizinischen Problemfälle. Beim Bau von Volieren helfen Sponsoren. „Wir sind froh, so tolle Partner zu haben“, sagt Erdmann.

Seit der Inbetriebnahme der Wildtierstation am 1. Juli 2012 hat das Ehepaar 1500 Tiere aufgenommen. Uhus, die im Stacheldraht hängen geblieben sind, Hasenjunge, die von Katzen nach Hause geschleppt wurden, Steinmarder, die nicht artgerecht als Haustiere gehalten wurden, junge Singvögel, die aus dem Nest gefallen sind, verwaiste Fuchswelpen, junge Eichhörnchen, die bei Baumfällarbeiten verletzt wurden, fanden in Sparrieshoop vorübergehend ein Zuhause. Kaum ein Tier sei falsch eingesammelt worden, so Christian Erdmann. „Wir waren gerade angekommen, da wurde uns schon der erste Gast vorbeigebracht“, sagt Katharina Erdmann. „Ein Landwirt brachte uns eine europäische Sumpfschildkröte aus einer Baumschule.“ Sie ist die einzige Schildkrötenart, die in Deutschland natürlich vorkommt. Mittlerweile haben sie schon vier dieser sehr seltenen Reptilien zur Pflege gehabt. „Wir haben einen Bluttest in Auftrag gegeben, der ihre Herkunft klären soll“, sagt Christian Erdmann. Er vermutet, sie könnten Mitbringsel aus der Türkei sein.

So viel Spaß die Arbeit mit den Tieren auch macht – sie hat auch ihre traurigen Seiten. „Sicher bricht man nicht mehr bei jedem Todesfall in Tränen aus, aber wenn die Amsel, die man tagelang aufgepäppelt hat, morgens tot im Käfig liegt, schmerzt es doch“, sagt Katharina Erdmann, die vor zwölf Jahren bei der Ölkatastrophe vor Galizien geholfen hat, Tiere zu bergen und so zum Tierschutz kam. Und wenn der Landwirt mit Tränen in den Augen vor dem Tor steht und ein schwerverletzten Rehkitz im Arm hält, dass er gerade mit dem Mähdrescher überfahren hat, dann muss auch sie schlucken. Denn dann bleibt meist nur, das Kitz von seinen Qualen zu erlösen. „Das könnte vermieden werden, wenn die Landwirte von innen nach außen mähen würden, um den Tieren eine Fluchtmöglichkeit zu lassen“, sagt sie. Und wenn sie nicht schon im Mai mähen würden. Denn selbst wenn die Bauern die Wiesen vorher ablaufen, die Neugeborenen sind klein, gut getarnt und leicht zu übersehen, wenn sie reglos liegen bleiben.

Immerhin 60 bis 80 Prozent der Patienten werden wieder ausgewildert. Erdmanns päppeln aber nicht nur auf, sondern leisten Aufklärungsarbeit, indem sie Kindern aktiven Naturschutz näher bringen und kostenlose Führungen anbieten. Sie schulen zudem Tierpfleger und Feuerwehrkameraden darin, wie sie Schlangen oder Störche einfangen können, und zeigen Mitarbeitern in Tierheimen, wie Erste Hilfe an Wildtieren funktioniert. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.wildtierstation-hamburg.de.