In ihrer Ellerbeker Werkstatt fertigen zwei Tischler aus französischen Güterwaggon-Planken moderne Möbelstücke

Ellerbek. Wegwerfen ist nicht so sein Ding. Und oft rettet Timothy Oestmann auch Dinge vor dem Sperrmüll, die andere Leute nicht mehr gebrauchen konnten. Der Tischler erkennt in den aussortierten Holzresten einen neuen Wert, der mit der passenden Design-Idee nur noch herausgekitzelt werden muss. Und so entstehen die schönsten Möbelstücke in der lichtdurchfluteten Werkstatt in Ellerbek, in der Oestmann und sein Geschäftspartner Steffen Doms, ebenfalls Tischler, seit acht Jahren ihr kleines Unternehmen Arte Lignum betreiben.

Bis unter die Decke stapeln sich die Vorräte im düsteren Lagerbereich: Bretter, Holzklötze, Stahlstangen und Lichtelemente, vieles alt, einiges neu. „Ich bin ein Sammler“, gesteht Timothy Oestmann, während er, schmal und wendig, einen langen Gang im hinteren Bereich ansteuert. Es herrscht offenbar eine gewisse Ordnung in seiner Sammlung. „Ach, hier lagerst du die also.“ Steffen Doms, der ihm mit bedächtigeren Schritten gefolgt ist, staunt. Auf stählernen Regalträgern liegen zahlreiche Holzdielen übereinander, dunkelbraun, fast schwarz, einige ganz unten am Boden sind bereits morsch. Aus dem eingestaubten Holz ragen rostige Nägel, die Oberfläche ist rau. Wer wie Oestmann die Handfläche leicht über das Holz gleiten lässt, läuft Gefahr, sich gleich mehrere Splitter zu holen.

Die Planken stammen aus alten Güterwaggons, die seit den 60er-Jahren durch Frankreich rollten, nach Jahrzehnten im Einsatz ausgemustert wurden und deren Reste schließlich bei einem Holzhändler in Deutschland landeten. Dort entdeckte Timothy Oestmann sie. Schon länger suchte er nach einem besonderen Material für eine Schiebetür, die sich Kunden für ihr schlichtes, aber mit besonderen Details ausgestattetes Haus wünschten. „Ich wusste sofort: Das ist es. Dieses alte, verwitterte Holz und das moderne Haus – das passte zusammen.“

Auch Steffen Doms sah das Potenzial, das in den alten Brettern steckt. „Es hat einen besonderen Charme, wenn das Material für ein Möbelstück eine Vergangenheit hat“, sagt er. „Diese Planken haben ihr Leben in Güterwaggons verbracht. Jetzt dürfen sie ihre Rente in schönen Häusern genießen.“ Die beiden orderten eine erste Lieferung mit hundert Brettern. Die sind längst aufgebraucht, denn auf die Tür folgten weitere Möbel aus den Planken, die aus besonders langlebigem Eichenholz sind. Doch bis zum fertigen Möbelstück ist einige Vorarbeit notwendig.

Das alte Holz muss in mehreren Schritten aufwendig bearbeitet werden. Zuerst wird es mit einer Bürstmaschine gründlich gesäubert, die Nägel müssen gezogen, verrottete Teile entfernt, Löcher und Spalten ausgebessert werden. Dann fügen die Handwerker die Dielen zu Tischplatten zusammen, fertigen Spiegelrahmen und Gehäuse für LED-Lampen daraus. Ihr bestes Stück aber ist eine schlichte Bank mit eingelassener Betonplatte, wahlweise in dunkelbraun oder hell aufgearbeitet mit gekitteten Rissen, die sich wie dunkle Adern durch das Holz ziehen. Acht Stück haben sie bereits verkauft.

„HolzUpCycling“ nennen die beiden diese Reihe aus Altholz-Möbeln. Auch am Hamburger Flughafen sitzen Reisende in einem Duty-Free-Shop auf Seiltonnen, deren Deckel die Ellerbeker Tischler gefertigt haben. Dieser Kunde habe sich erkundigt, ob die Waggons bereits im Krieg im Einsatz waren, erzählt Oestmann. Doch das können die Unternehmer ausschließen, sie verarbeiten nur Nachkriegsholz. „Da klebt garantiert kein Blut dran.“

Um Vorbereitung und Abwicklung der Aufträge kümmert sich vor allem Steffen Doms, viele Ideen zu neuen Entwürfen bringt Timothy Oestmann ein. Dabei lässt er sich von bereits eingerichteten Häusern inspirieren, von Zeitschriften und vor allem von möglichem Material, das er bei Händlern, auf Dachböden und Flohmärkten oder auch auf dem Sperrmüll findet und überall in der Werkstatt in Kisten und Regalen lagert. „Ich bin ständig auf der Suche nach Dingen, die man wiederverwerten kann“, sagt er. Aus alten Bambusplatten entstand so zum Beispiel der Prototyp für ein im Raum schwebendes Regal für ein Schuhgeschäft. Ihre Möbel präsentieren die Tischler im Internet auf www.artelignum.de und verkaufen sie selbst, ohne Händler dazwischenzuschalten.

Neben der Tür, die von der Werkstatt in den Hof führt, steht eine große Kiste mit kleinen Holzstücken, abgesägte Enden von Tischbeinen, Klötzchen, mehreckigen Scheiben. Das seien Reste, nicht mehr zu gebrauchen, meint Oestmann im Vorbeigehen. Und bleibt dann doch stehen, greift einen splittrigen Klotz aus der Mitte, dreht ihn in der Hand hin und her. „Obwohl das hier auch ein schöner Kerzenhalter werden könnte, oder?“