Hebamme Livia Görner hat 4000 Babys entbunden und darüber ein Buch geschrieben

Pinneberg. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er die Hochschwangere in der Klinik ablieferte. Er warf ihren Koffer in den Kreißsaal und rannte wieder raus. Zehn Minuten später war das Baby da. Wo denn ihr Mann so schnell hin verschwunden sei, wollte die Hebamme wissen. „Das war nicht mein Mann, das war der Taxifahrer“, klärte die frischgebackene Mutter auf. Sie habe ihm gedroht, wenn er sie nicht sofort ins Krankenhaus brächte, würde sie „das Ei“ in seinem Auto legen. Der Taxifahrer hatte nicht einmal das Fahrgeld kassiert.

Nein, das ist kein Witz, sondern hat sich so in der Klinik in Pinneberg zugetragen. Livia Görner war dabei – als Hebamme. Diese und viele weitere Anekdoten aus ihrem Berufsleben schildert die 49-Jährige in ihrem Buch „Die Wahrheit übers Kinderkriegen“ (Knaus-Verlag). Darin gibt die zweifache Mutter und Großmutter auch viele praxisnahe Ratschläge rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Und setzt sich kritisch mit der deutschen Familienpolitik auseinander.

Etwa 4000 Kinder hat die inzwischen frei arbeitende Beleghebamme in 30 Jahren auf die Welt geholt. Dabei kam sie zu der Einsicht, dass Väter bei der Geburt nicht unbedingt dabei sein müssen. „Der Druck auf die Väter ist groß“, sagt Görner, die von 1993 bis 2005 am Krankenhaus in Pinneberg tätig war. Wer nicht bei der Geburt dabei sein wolle, stoße nicht selten auf Unverständnis; dem Mann werde bewusst oder unbewusst unterstellt, er sei ein liebloser Partner und ein schlechter Vater. „Das Paar sollte vorher darüber reden, was es erwartet“, sagt Görner. „Viele sind erleichtert, wenn ich ihnen sage, dass es völlig in Ordnung ist, wenn der Mann nicht im Kreißsaal dabei ist.“

Es gibt aber auch Männer, die sich der Extremsituation Geburt gewachsen zeigen. So bekam Görner von einem Milchbauern aus Dithmarschen, dessen Frau sie betreute, den Hinweis: „Lass sie mal, zwei Weh´n braucht se noch, denn geiht dat los.“ Und er behielt recht. Andere hingegen sind von Anfang an überfordert. „Mich rief mal ein Mann aus Elmshorn an, weil seine Frau so seltsame Geräusche machte und dabei mit beiden Armen am Ast eines Apfelbaumes hing“, erzählt die Hebamme. Sie sagte ihm, er solle seine Frau sofort in die Klinik bringen. Eine halbe Stunde später war das Kind auf der Welt.

Bei dummen Sprüchen wie „Jetzt stell dich nicht so an, Schatz“ oder „Werd mal fertig, das Spiel fängt gleich an“ verordnet Livia Görner Männern im Kreißsaal schon einmal eine Zwangspause auf dem Flur. Nicht selten sorgten die Partner sogar dafür, dass sich die Geburt in die Länge ziehe, weil die Frauen wegen ihrer Anwesenheit gehemmt seien. Oder sie behinderten die Arbeit der Hebammen und Ärzte. „Wenn die Frau schreit, sie kann nicht mehr, bin ich froh, weil ich dann weiß: Gleich kommt das Kind“, berichtet die erfahrene Hebamme.

Manche Männer hingegen drängen zum Kaiserschnitt oder geraten in Panik und blaffen die Geburtshelfer an. Andere starren stundenlang den Wehenschreiber an. Was er denn darauf sehe, fragte Görner einmal einen werdenden Vater. Seine Antwort: „Die Aktienkurse stehen gut.“ Er war Banker. Ein anderer feuerte seine Frau an: Ihr Kind kam am 31. Oktober kurz vor Mitternacht. Da sagte der Mann: „Gut gemacht, Mausi, das Kindergeld für diesen Monat haben wir noch geschafft.“

Dass die neuen Väter eine enge Beziehung zu ihren Kindern aufbauen möchten, findet Livia Görner toll. Gleich nach der Geburt dürften sich die Väter dann gern ausgiebig um Frau und Baby kümmern. „Wenn sie das Neugeborene noch im Kreißsaal waschen, anziehen und halten, kann eine sehr enge Bindung entstehen“, sagt die Geburtshelferin. Einen gemeinsam besuchten Säuglingspflegekursus vor der Geburt hält Görner übrigens für weitaus sinnvoller als die Männer zum berüchtigten „Hechelkursus“ mitzuschleppen.

Stark angewachsen ist aus ihrer Sicht der Konsumwahn. Viele Dinge, die für Babys angeboten werden, seien überflüssig und reine Geldschneiderei. Von einer Wickelkommode rät Görner zum Beispiel ab. Diese sei viel zu hoch und somit unsicher. Das Baby könne leicht herunterfallen. „Und ganz ehrlich, nur um den Hintern abzuwischen, muss man nicht gleich ein neues Möbelstück kaufen“, sagt die resolute Frau. Eine Wickelunterlage auf einem Bett oder niedrigen Tisch tue es auch. Auch mit Spielzeug könne ein Neugeborenes in den ersten Monaten nichts anfangen. Ein eigener, sicherer Schlafplatz hingegen sei von Anfang an sehr wichtig.

Sowieso sei der Hype, den viele Eltern heute um ihr Baby veranstalteten, völlig übertrieben. „Früher haben Eltern ihr Kind, das weint, weil es sich wehgetan hat, getröstet. Heute leiden sie mit“, meint Livia Görner. Dadurch seien sie unfähig, zu handeln und dem Kind zu helfen.

Viele Eltern seien unsicherer und unselbstständiger, sie litten öfter an Zweifeln und Ängsten als noch vor 20 Jahren. Für die Kinder, die klar geregelte Tagesabläufe bräuchten, sei das nicht von Vorteil. Die Verunsicherung der Eltern werde von der Flut an Ratgebern nur noch weiter verstärkt. In der Nachsorge sollte die junge Mutter all ihre Fragen viel besser direkt mit ihrer Hebamme besprechen.