107. Geburtstag: Lina Meier-Kothe überlebte zwei Weltkriege und wurde über Nacht Unternehmerin

Wedel. Als Lina Meier-Kothe vor 107 Jahren in Bremen zur Welt kam, war Deutschland noch ein Kaiserreich, Frauen durften erst zehn Jahre später wählen, und in den Schulen regierte der Rohrstock. „Ich konnte meinen Mund nicht halten, wenn es ungerecht zuging. Deshalb habe ich oft mit dem Stock auf die Finger bekommen“, berichtet die Wedelerin, der zum Glück ihr zwei Jahre älterer Bruder Karl in der Schule beistand. „Er hat den Rohrstock heimlich mit dem Messer aufgeschlitzt und mit Pfeffer gefüllt. Als mich die Lehrerin das nächste Mal schlagen wollte, kam sie aus dem Niesen nicht heraus.“

In der Kursana Residenz Wedel, in der sie seit 17 Jahren lebt und als hilfsbereite und beliebte Mitbewohnerin gilt, feierte Meier-Kothe ihren Geburtstag am Sonntag zusammen mit ihrem Sohn Walter und dessen Familie, die extra aus Kiel angereist war. Mit ihrem hohen Alter zählt die Wedelerin zu den ältesten Bewohnern der Stadt. Nur noch eine Dame, die ebenfalls 107 Jahre alt ist, allerdings ein paar Monate vorher geboren wurde, läuft ihr laut Stadtverwaltung noch den Rang als älteste Wedelerin ab. Wenn Lina Meier-Kothe auf ihre Leben zurückblickt, das mehr als ein Jahrhundert umfasst, sagt sie: „Ich habe in meinem Leben so viel durchgemacht. Mir kann keiner etwas vormachen.“

Den Zweiten Weltkrieg erlebte Lina Meier-Kothe in Lodz, wo ihr Mann stationiert war. Die ausgebildete Kinderkrankenschwester war dort eine Anlaufstelle für Familien in Not. Zum Kriegsende flüchtete sie allein mit dem 1943 geborenen Sohn und einem Rucksack, in dem kaum mehr als ein Nachttopf für das Kind war. Doch als größten Einschnitt ihres Lebens bezeichnet sie den frühen Tod ihres Mannes, der 1961 verstarb.

Über Nacht wurde die Hausfrau Geschäftsführerin einer Spedition mit Lagerhäusern im Bremer Hafen und zwei Dutzend Angestellten. „Das war Sein oder Nichtsein“, zitiert die an Literatur sehr interessierte Meier-Kothe aus Shakespeares „Hamlet“. Denn ihr Mann hatte testamentarisch verfügt, dass Sohn Walter die Firma erst mit 30 Jahren übernehmen dürfe. „Da haben viele gedacht, die Frau setzen wir gleich mitsamt Stuhl vor die Tür“, erinnert sich Lina Meier-Kothe. „Ich habe es nur mit eisernem Willen und Disziplin geschafft, mich in dieser Männerwelt zu behaupten. Anfangs bin ich manches Mal morgens auf einem von Tränen durchnässten Kopfkissen wach geworden.“