Bei drei Lesungen hinterfragt Olaf Jessen die Gründe für die Schlacht von Verdun 1916

Barmstedt/Pinneberg. Das 300 Tage andauernde Blutbad von Verdun – eine vertuschte Entgleisung der Befehlshaber? Die größte Schlacht des Ersten Weltkriegs, die anno 1916 annähernd 700 000 Tote auf beiden Seiten forderte – eine gescheiterte Militärstrategie, die der verantwortliche Generalstab nicht eingestehen wollte und deshalb als gezielte „Ausblutung“ des Gegners verkaufte? Wenn diese Thesen stimmen, müssen die Geschichtsbücher zum Teil umgeschrieben werden.

Und einer, den diese Entwicklung am meisten überrascht, ist der Mann, der sie selbst ins Rollen gebracht hat. Der renommierte Militärhistoriker und Buchautor Olaf Jessen, 45 („Die Moltkes“), fand als Erster die Beweise für diese Thesen. „Verdun ist bis heute auch deshalb für viele Menschen interessant, weil fast jeder Deutsche einen Urgroßvater hat, der dort gekämpft hat, verwundet oder getötet wurde“, sagt er.

Jessen hatte sich ursprünglich auf die Suche nach einem lange als verschollen geltenden Dokument gemacht, das genau das Gegenteil belegen – also die geltende Version zementieren – sollte. Denn bislang verweisen ganze Historikergenerationen auf die sogenannte „Weihnachtsdenkschrift“ des Generalstabschefs Erich von Falkenhayn, um Antworten auf die nach wie vor ungeklärte Frage nach dem Grund für den verlustreichen Angriff ausgerechnet auf die stärkste französische Festung zu finden.

In seinen Memoiren behauptete der Befehlshaber, die französische Armee habe vor Verdun „verbluten“ sollen. So hätte die kaiserliche Armee die festgefahrene Frontlinie leichter durchbrechen können. „So ein wichtiges, verschollenes Dokument zu finden, das ist einfach der Traum aller Historiker“, sagt Jessen. „Aber es gab diese Denkschrift, die sogar in Lehrbüchern zitiert wird, nie.“ Sie sei eine pfiffige Erfindung der amtlichen Militärhistoriker des Potsdamer Reichsheeresarchivs gewesen, die in den 20er- und 30er-Jahren den Weltkrieg akribisch aufarbeiteten.

Diese Experten hätten angesichts der Wortprotokolle und Zeitzeugenberichte damals schon gewusst, dass Verdun keine monatelange Materialschlacht werden, sondern den Durchbruch bringen sollte. „Schon nach wenigen Tagen war klar, dass das nicht gelingen würde“, sagt Jessen. „Aber das wollte Falkenhayn weder sich selbst noch dem Kaiser gegenüber eingestehen.“ Er ließ weiterkämpfen und verdrehte kurzerhand die Fakten, erklärte statt des Durchbruchs offiziell die Auszehrung des Gegners zum Ziel der Schlacht.

All das sei den Potsdamer Historikern schon 1930 klar gewesen, sagt Jessen. Doch als erzkonservative, deutschnational gesinnte Beamte hängten sie ihre Erkenntnisse, die ein fragwürdiges Licht auf die kaiserlichen Militärstrategen zu werfen drohten, nicht an die große Glocke. Die Akten verschwanden im Archiv. Ein Großteil der Originale verbrannte bei einem Bombenangriff Ende des Zweiten Weltkriegs, die Abschriften landeten als Kriegsbeute in sowjetischen Archiven. Erst seit 1996 sind diese Unterlagen im Freiburger Bundesmilitärarchiv für westliche Forscher wieder zugänglich. Dort nahm Olaf Jessen die lange vergessenen Quellen als erster Forscher akribisch unter die Lupe – und stieß auf sensationelle Dokumente.

Wer mehr über diese spannende Spurensuche und ihre überraschenden Ergebnisse erfahren möchte, der sollte sich Donnerstag, 3. Juli, vormerken. Dann liest Jessen in der Kommunalen Halle des Barmstedter Rathauses, Rathausplatz 1, aus seinem aktuellen Buch „Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts“ (Verlag C. H. Beck, 496 Seiten, 24,95 Euro). Wie schon sein Erstling über die „deutschen Kennedys“, die preußische Politiker- und Offiziersfamilie Moltke, verknüpft auch dieses Buch seriöses wissenschaftliches Handwerk, also sauber recherchierte und zitierte Quellen, mit einer spannenden, geschmeidigen Dramaturgie.

Die Lesung beginnt um 19.30 Uhr. Der Eintritt kostet fünf Euro pro Person, Schüler zahlen nichts. Für zwei weitere Lesungen im Kreis Pinneberg kommt Olaf Jessen am 29. August um 19 Uhr in die Pinneberger Drostei, Dingstätte 23, und am 5. September um 20Uhr in das Halstenbeker Kulturzentrum Arche Noah, Haselweg 37.