Beim Blütenfest in Seester zeigt die Uetersener Fassmalerin Gesine Hein ihre ungewöhnliche Restaurationskunst

Wenn Gesine Hein mit ihrer Arbeit fertig ist, dann sehen ein barocker Holzstuhl, ein Rokoko-Schränkchen oder eine Lampe aus der Gründerzeit nicht etwa aus wie neu. Im Gegenteil. Die Schätzchen wirken nach Heins fachkundiger Behandlung sogar ganz schön alt. Die Betonung liegt dabei allerdings auf dem Wort „schön“.

Mit einem ganzen Sortiment von Pinseln, speziell von Hand angerührten Farben aus authentischen Materialien früherer Epochen und der gesammelten Erfahrung eines ganzen Berufslebens verwandelt die Fassmalerin in ihrem Uetersener Atelier zwischen den roten Backsteinmauern des Klosterviertels abgenutzte, hölzerne Zeugen der Vergangenheit aus Bauerndielen und Bürgerstuben in ästhetische Hingucker auf vier Beinen oder Pfosten.

Ihr Atelier ist voll von Beispielen für diese Kunst. So zieht mitten in der kreativen Atmosphäre von Marmormehl, Farbpigmenten und Spachteln in langen Regalen, fertigen und unfertigen Möbelstücken unter der mindestens fünf Meter hohen Werkstattdecke ein mintgrüner Holzstuhl die Blicke auf sich. Zart schimmert die feine Maserung von Eschenholz durch die Lasur. Hier und da gibt diese Farbe, die Gesine Hein wie die Handwerker zu Bauzeiten des Stuhls aus Leinöl, Pigmenten, Kasein und Marmormehl in einer epochentypischen Färbung angerührt hat, den Blick frei auf das warme Braun des Eschenkerns. Die Oberfläche ist so seidenglatt, dass sie an die Perfektion polierten Marmors erinnert. Und bei aller Zerbrechlichkeit seiner kunstvoll gedrechselten Erscheinung verbreitet die kostbare Antiquität gleichzeitig eine Aura selbstbewusster Gelassenheit.

Wieder und wieder hat Gesine Hein den Stuhl geschliffen und in seidenpapierdünnen Schichten lasiert. „Wenn ich etwas fasse, dann spiele ich mit der Oberfläche“, sagt sie. Denn im Unterschied zum Lackieren von Schränken, Tischen oder Kommoden geht es beim sogenannten Fassen, das ursprünglich aus der Kirchenmalerei stammt, nicht darum, eine abgenutzte Oberfläche komplett unter einer deckenden Farbschicht verschwinden zu lassen. Sondern Fassmaler rücken die verschiedenartige Lebendigkeit und die lange Geschichte eines Objekts in den Fokus.

Das kann ein gedrungener Barockschrank in sattem Taubenblau, feurigem Mahagoni und mit Blumenmustern sein oder ein zierlicher Eckschrank in den kühlen, hellen Farben der Skandinavier. Diese Farbpalette von Lindgrün über Kittgrau bis zu hellen Blau- und Beigetönen zieht die Kapitänstochter und leidenschaftliche Seglerin besonders an. „Ich liebe sie, weil ich selbst sehr norddeutsch bin.“

Fürsorglich blickt sie auf eine Möbelruine, die in den Augen Normalsterblicher dem Sperrmüll näher als dem Museum zu sein scheint. Doch für Gesine Hein ist das klapprige schwedische Schränkchen aus dem 18.Jahrhundert trotz seiner abblätternden Farbe und ausgehängten Türen ein Juwel. „Echt gustavianisch“, sagt sie. „Der sieht jetzt vielleicht furchtbar aus, aber nachher wird er traumhaft schön.“

Ihr Herz für diese ungewöhnliche Kunst entdeckte Hein schon als Schülerin. Eher zufällig landete die Neuntklässlerin als Schulpraktikantin bei einer Bekannten ihrer Tante. Die war Fassmalerin.

Die kunstvolle Technik ließ Gesine Hein nicht mehr los. Nach dem Abitur 1984 begann sie ein Studium als Restaurateurin in Florenz, jobbte als Au-Pair-Mädchen. Doch so richtig glücklich wurde sie in ihrer Gastfamilie nicht. Eine Job-Odyssee begann. Sie baute mit einem Freund ein Boot, arbeitete bei einer Reederei, heuerte bei einer Filmagentur an, reiste zu Dokumentar-Drehs nach Afghanistan. Und beschäftigte sich gleichzeitig weiterhin mit Malerei, erlernte tradierte Farbmischtechniken, hörte als Gast Vorlesungen in Kunstgeschichte an der Universität.

Vor 20 Jahren verwirklichte sie ihren Berufstraum und machte sich zunächst auf der Tenne ihres Reetdachhauses in Neuendeich selbstständig, das sie mit ihrem Lebensgefährten und ihren drei halbwüchsigen Kindern bewohnt. „Die ersten Jahre waren eine echte Durststrecke“, sagt sie. Heute hat sie es geschafft, arbeitet für Kunden in ganz Norddeutschland.

Eine kleine Auswahl ihrer Arbeiten zeigt Gesine Hein beim Blütenfest am Sonntag, 22. Juni, in Seester. Auch der Ausstellungspavillon selbst dient als Modellfläche. Die Dielen des Holzfußbodens sind ebenso handgefasst wie die Tafelbilder, die die Seiten bilden. Neben unterschiedlichen Möbelstücken hat sie auch Bilder im Gepäck, deren vorwiegend maritime Motive sie mit Wachs und Pigmenten auf eine bearbeitete Oberfläche gespachtelt hat. „Das Blütenfest ist eine schöne Veranstaltung“, sagt Gesine Hein. „Man kommt mit den Besuchern ins Gespräch, es ist sehr abwechslungsreich dort.“ Wer mag, kann ihr dabei zusehen, wie sie einen kleinen Schrank bearbeitet.

Das Familienfest, das um 10Uhr mit einem Gottesdienst in der barocken Johanneskirche beginnt, strotzt nur so von Angeboten zum Staunen und Mitmachen rund um den historischen Kirchplatz. Kunsthandwerker und Unternehmen aus der Region präsentieren eine weitgespannte Palette von Produkten und Dienstleistungen. Darunter sind englische Rosen, Gartenkeramik, Weidengeflecht, Skulpturen aus Metall, Silberschmuck und kreative Gartengestaltung. Zu bestaunen und natürlich auch zu kaufen sind Weberarbeiten, Holzschuhe, Honig, Gemälde, dänische Geschenkartikel, Gewürze, kunstvoll Gedrechseltes und Fahrräder.

Bandreißer zeigen ihr traditionelles Handwerk, Kinder können unter Anleitung Blütenkränze binden und sich schminken lassen. Der Männerchor „Frohsinn“ singt Shanties, und die Kindertanzgruppe Pinnau-Elbmarschen zeigt traditionelle Tänze. Und wem es draußen zu heiß wird, der kann sich von Spezialist Joachim Senk Geheimnisse hinter den dicken Mauern der kühlen Kirche zeigen lassen.