Kunstkreis präsentiert Knotenkunst von Schülern mit Behinderung noch bis 20. Juni

Schenefeld. Inklusion: Was ist das? Für viele bleibt der sperrige Begriff, der das Wort Integration ablöste und die vollständige gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen, besonders derer mit Behinderung, umfasst, ein Rätsel. Was Inklusion in der Praxis bedeutet, davon können sich Besucher einer Ausstellung im Stadtzentrum ein Bild machen. Dort präsentiert der Kunstkreis Schenefeld in der eigenen Galerie im ersten Stock noch bis zum 20. Juni Arbeiten von Schülern des Heilpädagogischen Förderzentrums Friedrichshulde. „Knoten“ lautet der simple Titel. Doch dahinter verbirgt sich ein Inklusionsprojekt der besonderen Art. Alle 50 Schüler mit geistiger Behinderung und Lehrkräfte der Schenefelder Einrichtung waren daran beteiligt. Jeder auf seiner Weise und vor allem nach seinen Möglichkeiten.

Genau das ist für Martha Armijos-Koopmann gelebte Inklusion. Seit 1991 arbeitet die Pädagogin für die Schenefelder Einrichtung. Sie blickt den derzeitigen Bestrebungen vor allem auf Schulebene, wo alle Kinder mit Förderbedarf zukünftig nicht mehr Sondereinrichtungen, sondern die Regelschule besuchen sollen, mit Sorge entgegen. „Eine von oben bestimmte Inklusion funktioniert nicht, vor allem nicht, wenn man sie so angeht“, kritisiert Armijos-Koopmann. „Der Gedanke an sich ist natürlich richtig. Alle haben ein Recht teilzuhaben. Aber die Voraussetzungen müssen stimmen.“

Viel zu schnell, von oben verordnet und dann auch noch mit zu wenig Fördermitteln ausgestattet: Angesichts dessen fürchtet die Pädagogin, dass darunter vor allem die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung leiden. „Wir können sie nicht einfach in Klassen stecken und dann alleine lassen. Sie brauchen Rückzugsmöglichkeiten, einen Schutzraum“, glaubt Armijos-Koopmann. Aus ihrer Sicht müsse man die Gesellschaft erst verändern, bevor man die Bildungslandschaft den ambitionierten Plänen anpassen kann. Die Kinder, die wir in Friedrichshulde betreuen, brauchen Halt, um sich dann lösen zu können“, sagt die 62-Jährige.

Sich anspannen und lösen: genau das mussten die Projekt-Teilnehmer auch beim Knoten. Konzentriert wurde ein Band, ein Gummistreifen aus altem Fahrradschlauch oder ein Seil in einer Schlaufe zusammengelegt und dann festgezogen. Auf Konzentration folgte die Entspannung. „Festhalten und Lösen: Der Knoten ist ein Sinnbild für Inklusion“, sagt die Pädagogin, die mit ihrem Vorschlag, eine Ausstellung in der Galerie des Kunstkreises zu bestücken, im Lehrerkollegium auf viel positive Resonanz stieß. In allen Stufen und Fächern wurde an dem Projekt gearbeitet. So entstanden Knoten auf dem Papier, in der Krawatte. Sie wurden zu Teppichen gehäkelt, zu Flechtbändern verdichtet, mit Taschentüchern als Erinnerungshilfe verknüpft und sogar in geschmiedete Objekte gegossen. Tatsächlich entstand im Werkunterricht auch eine Sitzschaukel aus großen Gummiknoten.

Erhellend ist auch eine Lampe, die ein Schirm aus zahlreichen winzigen Verbindungen ziert. Gemacht hat sie Wenming. Der 20-Jährige ist Autist. Der oft in seiner eigenen Welt versunkene junge Mann entwickelte eine große Leidenschaft für das Knoten. Auch in den Unterrichtspausen wollte er damit nicht mehr aufhören. Er band so viel in einen zerschnittenen Fahrradschlauch, dass daraus der Lampenschirm entstand. Sinah dagegen hatte anfangs Angst, dass sie die Aufgabe nicht meistern könnte. In der Galerie geht das behinderte Mädchen selbstbewusst voran, nimmt Besucher notfalls an die Hand, um zu ihrem Werk zu führen. Stolz zeigt sie die Ohrringe, die Kette und das Armband, die sie aus kleinen schwarzen Perlen, geknottetem Gummi und silbernen Schmuckstücken baute. „Das Material durfte sich jeder selber aussuchen“, erklärt Armijos-Koopmann. Je nach Schwere der Behinderung halfen die Pädagogen auch bei den Arbeiten, führten vorsichtig die Hände, wie auch Schwarz-Weiß-Fotografien an den Galeriewänden dokumentieren. „Es war noch nie so ruhig im Unterricht, wie während dieser Projektzeit“, sagt Armijos-Koopmann, die von der sich entwickelnden Dynamik und dem absolut sehenswerten Ergebnis begeistert ist.

Die wohl aber spannendste Idee steht fast unscheinbar neben dem Ausgang. Ein eigens für das Projekt angepasster Webstuhl. Hier sind die Besucher eingeladen, sich selbst mit dem Projekt und der Idee zu verknüpfen, indem sie Knoten hinzufügen. So wird ein Schuh, ach nein, ein Teppich draus.