In zwei Senioren-Wohngemeinschaften im Bauernhaus Appen leben 24 Damen und Herren unter einem Dach

Appen. Fliegen war sein Leben. Noch immer leuchten Heinz Wagenführers Augen , wenn er von seiner Zeit als Pilot und Fluglehrer erzählt. Der Appener ist gerade 92 Jahre alt geworden. 14 Jahre ist er als Bundeswehrsoldat auf dem Fliegerhorst Uetersen gelandet und gestartet. Seinen letzten Flug hat er mit 75 Jahren hingelegt, das war in Tirol. Heute lebt der im oberfränkischen Naila aufgewachsene Rentner wieder in Appen – mit 23 weiteren Seniorinnen und Senioren unter einem Dach. Sie bilden die zwei Senioren-Wohngemeinschaften im Bauernhaus Appen in der Gärtnerstraße 1.

„Das Weg-vom-Boden-Kommen ist es, was mich am Fliegen immer begeistert hat“, sagt Heinz Wagenführer. „Und die große Übersicht zu haben, losgelöst vom Alltag.“ Er mag das Lied des Sängers Reinhard Mey, kennt den Text auswendig: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“

Heinz Wagenführer, Jahrgang 1922, lernte das Fliegen, als Hitler Deutschland in den Untergang führte. Er wurde 1944 zum Torpedoflieger auf einer JU88 ausgebildet. Doch zu Einsätzen kam es nicht mehr. „Zum Glück“, sagt Heinz Wagenführer in seinem WG-Zimmer in Appen, „sonst hätte ich den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt.“

1956 meldete sich der Klempnerinstallateur bei der Luftwaffe der neu gegründeten Bundeswehr. Im selben Jahr wurde auf dem Fliegerhorst Uetersen das Luftwaffenausbildungsregiment 1 gebildet. Zwischen 1958 und 1972 flog der Hauptfeldwebel im Fluganwärterregiment Maschinen vom Typ Piper PA-18, Dornier Do 27 und Piaggio P.149 und bildete Piloten aus. Im Alter von 52 Jahren ging er in den Ruhestand.

Die Übersicht, die er beim Fliegen so schätzte, hat sich Heinz Wagenführer bis ins hohe Alter bewahrt. Vor gut einem Jahr ist er von seiner Appener Wohnung in ein WG-Zimmer im ehemaligen Bauernhaus gewechselt.

„Ich bin am 15. März 2013 eingezogen“, sagt Wagenführer. „Ich war der erste Mieter im ersten Stock.“ Dort hat er alles, was er braucht: ein Bett, ein behindertengerechtes Bad, einen Fernseher und einen Computer, mit dem er auch im Internet surft und E-Mails an Freunde und Verwandte schreibt.

Der ehemaliger Flieger hat sich ganz bewusst für eine Senioren-WG und damit gegen ein Heim entschieden. „Meine Ehefrau Emmi ist im Seniorenheim in Appen verstorben. Das Heim ist gut, aber ich ziehe das Leben in einer Senioren-WG vor. Hier kann ich tun und machen, was ich will, und unterliege keiner Heimordnung.“

Seinen 92. Geburtstag hat Heinz Wagenführer bis Mitternacht in der Wohnküche im ersten Stock gefeiert. Hausmeister Wolfgang Sablowski war der letzte Gast. Mit ihm kocht der Rentner auch einmal im Monat gemeinsam, dann heißt es „um eins bei Heinz“. Mit dabei ist auch immer das Ehepaar Dirk und Susanne Thon. „Hier in der Senioren-WG sind wir eine gute Gemeinschaft, wir duzen uns alle“, sagt Heinz Wagenführer und lacht. „Ich schätze das WG-Leben.“

Es ist 12 Uhr; sechs Senioren sitzen am Esstisch in der Wohnküche im ersten Stock und essen gemeinsam. Hauswirtschafterin Gerdie Pietzuch hat gekocht, es gibt Bratwurst, Blumenkohl, Kartoffeln und zum Nachtisch Vanillepudding. Auch der Hausmeister hat Platz genommen. Und die Tochter von Heinz Wagenführer, Helga Schlichtherle, 67, die ehemalige Bürgervorsteherin aus Appen, ist zu Besuch. Eine Bewohnerin erzählt, wie ihre Mutter mit den Kindern die große Sturmflut im Februar 1962 überlebt hat. Viermal am Tag kommen die WG-Bewohner zum Essen zusammen. Um 8.30 Uhr zum Frühstück, um 12 Uhr zum Mittagessen, um 15 Uhr zu Kaffee und Kuchen und um 18 Uhr zum Abendessen.

Die Bewohner der beiden Wohngemeinschaften im Bauernhaus Appen kommen aus Appen, Pinneberg, Halstenbek, Hamburg, Vorpommern und Leipzig. Sie sind 68 bis 97 Jahre alt, fünf Bewohner sind dement. Die Pflege übernimmt der Pflegedienst Callsen aus Hamburg-Schnelsen. „Die Gesamtkosten für Miete und Betreuung liegen zwischen 1500 und 2000 Euro“, sagt Pflegedienstleiterin Anja Callsen, 57. „Diese Summe muss als Eigenanteil aufgebracht werden, das heißt, es gibt bis auf 200 Euro Wohngruppenzuschuss noch keine Unterstützung für Senioren-Wohngemeinschaften von Seiten des Staates.“ Wer zusätzliche Pflege benötigt, rechnet über den Pflegedienst mit der Pflegeversicherung ab.

In der Senioren-WG beschließen die Bewohner und deren Angehörige, welcher Dienstleister die ambulante Pflege übernimmt. „Wir sind hier zu Gast im Bauernhaus und müssen uns so verhalten, dass die Bewohner uns weiterhin haben wollen“, sagt Anja Callsen. Zwei WG-Zimmer in Appen sind derzeit nicht bewohnt. Wer interessiert ist, kann sich unter der Telefonnummer 040/66 99 65 05 informieren.

Heinz Wagenführer malt gern, vor allem Blumen und Naturmotive. Einige seiner Bilder hängen in der Senioren-WG. „Hier im Bauernhaus“, sagt der Flieger im Ruhestand, „bin ich keine Zimmernummer wie in einem Pflegeheim. Hier bin ich ich selbst.“