Das Hamburger Abendblatt startet eine neue Serie: Wer ist für was zuständig, wie hängt alles zusammen, was Bürger bewegen können. Montag geht’s los

Landrat? Wer nur dieses Wort hört, könnte womöglich Land-Rad verstehen, ist ja auch irgendwie logisch: Fahrzeug mit Pedalantrieb, abgestellt an einem eher dörflichen Bahnhof. Aber was oder wer um alles in der Welt ist ein Landrat? Da hilft Logik nicht mehr weiter. Und es ist gut möglich, dass in der Tat nicht jeder Bürger im Kreis Pinneberg diese Frage in all ihren Facetten korrekt beantworten könnte.

Mit dem heutigen Tage startet die Abendblatt-Regionalausgabe Pinneberg unter dem Titel „Partei ergreifen – wie funktioniert Kommunalpolitik?“ eine elfteilige Serie, die Antworten auf die unterschiedlichsten Fragen liefern soll. Im Fokus stehen das kommunalpolitische Leben in den Städten und Dörfern der Region sowie das Zusammenspiel mit den örtlichen Verwaltungen. Sie soll denen, die sich in der Szene bestens auskennen, Bestätigung geben. Denen, die sich gern stärker engagieren würden, Lust machen. Und jenen, denen die Strukturen vielleicht noch nicht ganz so vertraut sind – Jugendlichen zum Beispiel oder Neubürgern aus anderen Bundesländern – Orientierung bieten.

Dass die Gesellschaft in ihrem Durchschnitt immer unpolitischer geworden ist, ist eine Tatsache. Sie lässt sich anhand von Zahlen belegen. Ein paar Fakten: Die Beteiligung an Kommunalwahlen ist im Laufe der vergangenen Jahrzehnte dramatisch gesunken. Über die Zusammensetzung des Pinneberger Kreistags stimmten 1994 noch 70,9 Prozent der Wahlberechtigten ab, 1998 waren es 62,2 Prozent, 2003 dann wenigstens noch 52,1 Prozent. Im Mai 2008 fiel die Wahlbeteilung dann auf 45,4 Prozent. Seitdem haben die Nichtwähler die Mehrheit im Kreis Pinneberg. Dies änderte sich auch bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr nicht, als mit 45,5 Prozent die Beteiligung auf vergleichbar niedrigem Niveau verharrte. Obwohl das Bevölkerungswachstum die Zahl der Wahlberechtigten im Kreis zwischen 1994 und 2013 um mehr als 30.000 ansteigen ließ, wählten 2013 mit 113.000 Menschen fast 40.000 Wähler weniger als 1994.

Utz Schliesky, Jura-Professor am Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel und Direktor des schleswig-holsteinischen Landtags, sagt: „Der Hauptgrund für die Wahlmüdigkeit liegt meines Erachtens in der Unkenntnis der Wahlberechtigten. Den meisten von ihnen ist nicht bekannt, welche weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort tatsächlich bestehen.“ Schliesky ist einer unter mehreren Experten, die in der Abendblatt- Serie zu Wort kommen.

Besonders groß sei die Wahlzurückhaltung bei Jüngeren, so Schliesky, der in diesem Zusammenhang unter anderem von „Desinteresse“ und „Unkenntnis“ spricht. Eine vor zweieinhalb Jahren vorgestellte Umfrage des Kinder- und Jugendbeirats in Ahrensburg (Kreis Stormarn) unter 2000 Schülern hat ergeben: Jeder zweite Befragte kannte den Namen des örtlichen Bürgermeisters nicht. 71 Prozent wussten nicht, welche Partei die größte Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung stellt. Wie sollten sie auch? 97,4 Prozent konnten überhaupt nicht erklären, was eine Stadtverordnetenversammlung ist.

Schliesky schätzt den Anteil der Wahlberechtigten, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente der Einflussnahme auf kommunaler Ebene kennen und richtig einsetzen könnten, auf „unter fünf Prozent“.

Kaum verwunderlich, dass auch die Bereitschaft, sich selbst politisch zu engagieren, abnimmt. Die großen Parteien verlieren Mitglieder: Mehr als fünf Prozent innerhalb von fünf Jahren die SPD, etwa zwölf Prozent die CDU als mitgliederstärkste Partei im Kreis Pinneberg. Ein Grund für den Rückgang der Mitgliederzahlen sei die demografische Entwicklung, sagt der CDU-Kreisvorsitzende Ole Schröder. Sie wirke sich auch auf das Durchschnittsalter in der Partei aus. Es beträgt 59 Jahre.

In den kommenden Wochen wird das Abendblatt nun unter anderem erklären, warum im Kreis Pinneberg Bürgermeister nicht gleich Bürgermeister ist, was Stadtverordnete machen, wie ein Haushaltsentwurf zu lesen ist, wie eine Verwaltung aufgebaut ist. Ach ja: Und was eigentlich ein Landrat ist.