Vermessen? Anwohner der Rudolf-Höckner-Straße rollen Brummis Steine in den Weg. Müllabfuhr muss draußen bleiben

Wedel. Alles hat eine Grenze. Manchmal ist nur die Frage, wo sie denn genau verläuft. In der Rudolf-Höckner-Straße in Wedel scheint es in diesem Punkt einiges an Klärungsbedarf zu geben. Seit Monaten rücken hier immer mal wieder Experten an, um festzustellen, wie schmal die Spielstraße mitten in der Altstadt denn nun wirklich ist. In der sonst so beschaulichen kleinen Straße tobt ein Kampf zwischen Anwohnern und Stadtverwaltung um die Deutungshoheit. Begehungen, Vorort-Termine und zahlreiche Messungen haben bislang keinen Grenzfrieden gebracht. Das Problem: Es kommen ständig andere Ergebnisse dabei heraus. Klingt verrückt? Ist es auch.

„Es geht nicht gegen die Müllabfuhr“, erklärt Vera Höpermann die neueste Aktion der Anwohner. Höpermann lebt wohl an der am meisten vermessenen Ecke Wedels. Denn ihr Haus, Rudolf-Höckner-Straße 9, liegt an der engsten Stelle der umstrittenen Straße. Genau hier haben die Anwohner ein Zeichen gegen das maßlose Problem gesetzt. Drei große Findlinge stehen am Straßenrand. Damit ist die enge Kurve für Lkw-Fahrer, die bislang auf den abgesenkten Bordstein ausweichen konnten, zu einer kaum noch zu nehmenden Herausforderung geworden.

Die Feuerwehr war schon da. Sie konnte sich durch den Engpass nur mit einiger Mühe geradeso hindurchzirkeln. Die Müllabfuhr dagegen verzichtet. Die Wagen fahren alle Häuser der Rudolf-Höckner-Straße ab Nummer 8/9 jetzt nicht mehr an. Die Anwohner der betroffenen acht Häuser müssen also ran an die Mülltonnen. Gelbe, grüne Tonnen und Mülleimer für Papier: Alles wird fleißig mehrere Meter bis zur neuen kleinen Sammelstelle vor dem Engpass geschleppt. Seit Ende Februar geht das schon so. Und keiner murrt. Verkehrte Welt? Oh ja.

3,12 Meter, 2,50 oder doch 2,65? Der Streit ums richtige Maß beschäftigt Stadtverwaltung, Katasteramt, Bauunternehmer, Investoren und Anwohner seit Ende vergangenen Jahres intensiv. Die Schwierigkeit liegt in der Grenzziehung. Je nachdem, wo man das Ende der Straße beziehungsweise den Anfang des Privatgrundstücks auf Haushöhe Nummer 9 ansetzt, kommt etwas anderes heraus. Laut Wedels Stadtverwaltung ist die engste Stelle der Rudolf-Höckner-Straße 3,12 Meter breit. Damit wäre genügend Platz für die Brummis, die hier in den kommenden Monaten durchbrettern sollen. Denn die Spielstraße ist als Zufahrt für die Baustelle am angrenzenden Kirchstieg vorgesehen. Wenn es nach den Anwohnern geht, dann ist die Straße nur 2,60 Meter breit und die Brummis müssten einen anderen Weg zu dem von der Stadt verkauften Baugrundstück nehmen.

Den kleinen Maß-Unterschied macht ein keilartige Fläche aus, die so wirkt, als wäre sie öffentlicher Grund. Ist sie aber nicht. Der etwa 16 Quadratmeter große Straßenstreifen gehört Vera Höpermann. Das bestätigte die Stadt der Wedelerin nach zähem Ringen mit einem Schreiben vom 11. Februar 2014. Darin entschuldigt sich die Verwaltung für das entstandene Missverständnis. Denn man war davon ausgegangen, dass die Stadt das Grundstück in den 90ern erworben hatte. Tatsächlich gab es Bemühungen, Höpermann das Land abzukaufen, das zur nötigen Straßenbreite fehlt. Doch sie gab es nicht her, wie aus ihren Akten ersichtlich ist. Sie schlug das Angebot in Höhe von 2800 DM aus, wehrte sich mithilfe eines Anwalts gegen alle Versuche der Stadt, an den Streifen heranzukommen.

Das würde sie wieder machen. „Ich will nicht verkaufen“, erklärt die Rentnerin. Ihr Haus, das als stadtkernprägend eingestufte wurde, ist eng an die Straße gebaut. Höpermann fürchtet, dass das Haus, das ihr Großvater 1952 von einem Landwirt erstand, absacken oder anderweitig Schaden nehmen könnte.

„Ich habe Angst um die Substanz meines Hauses, wenn schwere und große Baufahrzeuge dicht am Haus vorbeifahren“, sagt sie. Wäre mehr Platz zwischen Haus und Straße, würde sie der Stadt etwas abgeben. Aber so nicht.

In den Wedeler Grenzfall hat sich nun auch das Landesamt für Vermessung und Geoinformation des Landes Schleswig-Holstein eingeschaltet. Deren Mitarbeiter rücken an diesem Donnerstag an, um endlich Licht ins Dunkle zu bringen. Für 8.30 Uhr ist ein „Grenztermin“ angesetzt, bei dem festgestellt werden soll, wo die Straße aufhört und das Grundstück von Höpermann anfängt. Das Merkwürdige: Die Stadtverwaltung, die seit Monaten auf der Messung von drei Metern Breite beharrt, hat den Grenztermin angestoßen. „Wir brauchen Klarheit“, sagt Wedels Bauamtschef Klaus Lieberknecht. Er geht davon aus, dass der Standpunkt der Stadt bestätigt wird. „Wenn nicht werden die Karten neu gemischt.“ Sprich: Dann muss der Verkehr vielleicht doch über den Kirchstieg rollen. In diesem Fall steht auch der Verkauf des städtischen Grundstücks, um den mehrere Investoren gebuhlt hatten, zur Debatte.

Höpermann hofft, dass der Grenztermin aus ihrer Sicht ein Geschenk zum Hochzeittag wird. Denn am Donnerstag sind sie und ihr Mann 56 Jahre verheiratet. „Wir wollen hier in Ruhe unseren Lebensabend verbringen. Ich wünsche mir nur, nicht mehr um meine Grenze kämpfen zu müssen.“