Weißer Ring hat 2013 rund 170 Menschen im Kreis beraten und 4200 Stunden ehrenamtliche Unterstützung geleistet

Kreis Pinneberg. Sie hatten sich im Internet kennengelernt. Die junge Halstenbekerin verliebte sich in den Engländer, einen IT-Spezialisten. Die Gefühle klangen schnell wieder ab. Die Studentin machte Schluss. Doch der Verschmähte wollte es nicht auf sich beruhen lassen. Aus Rache stellte er Nacktfotos von ihr ins Internet und einen Film, der sie beim Sex zeigte, und schickte die Bilder an ihre Uni-Professoren und Kommilitonen. Damit nicht genug. In Foren schrieb der Engländer, dass die junge Frau „hart rangenommen“ werden wolle, gern überraschend. Die indirekte Aufforderung zur Vergewaltigung blieb nicht folgenlos. Die Halstenbekerin wurde tatsächlich von zwei Männern auf der Straße bedrängt. Zum Glück konnte sie die beiden abwehren. Doch die Angst sitzt tief.

„Diese Form des Stalkings und die Verbreitung von Fotos und Filmen übers Internet stellt uns vor neue Herausforderungen“, sagt Peter Wieruch vom Weißen Ring. Er leitet kommissarisch die Außenstelle im Kreis Pinneberg bis Sönke-Peter Hansen am 11.April diese übernimmt. 80 Prozent der Stalking-Opfer seien Frauen, die Täter überwiegend verschmähte Partner, die sich rächen. „Bei Stalkingopfern muss man besonders sensibel vorgehen“, sagt Wieruch. Sie trauten sich nicht mehr aus dem Haus und fühlten sich verfolgt.

Zwölf ehrenamtliche Helfer kümmern sich im Kreis um Opfer von Straftaten

„Im Fall der Halstenbekerin wurde der Täter in England vor Gericht gestellt“, sagt Wieruch. Doch bis dahin war es ein schwieriger Weg. Denn für Stalking gibt es häufig keine Zeugen. Damit die Opfer diesen Weg nicht allein bestreiten müssen, engagieren sich im Kreis Pinneberg zwölf Ehrenamtliche des Weißen Rings. Sie haben im vergangenen Jahr 170 Opfern geholfen und 4200 Stunden Hilfe, Beistand und persönliche Betreuung geleistet. Im Jahr 2012 waren es noch 110 Klienten und 1400 Stunden Opferhilfe. „Die gestiegene Zahl an geleisteten Stunden erklärt sich unter anderem mit der Wanderausstellung ,Opfer’ in der Drostei anlässlich unseres 30-jährigen Bestehens“, sagt Wieruch. Die Vorbereitung habe zusätzlich Zeit gekostet.

Bei den Delikten führen Körperverletzungen mit 50 und Sexualstraftaten mit 40 Fällen die Statistik an, letztere mit steigender Tendenz. Das liege nicht daran, dass es mehr Missbrauchsfälle gebe. „Die Dunkelziffer hellt sich auf“, sagt Wieruch. Durch die Thematisierung in der Öffentlichkeit hätten viele Menschen den Mut gefasst, über Missbrauch zu sprechen. Die Helfer haben eine Lotsenfunktion, zeigen den Weg zu Psychologen, Therapeuten, Rechtsanwälten. Und sie hören zu. „Oft wollen Opfer ihre Geschichte einfach mal loswerden, sich jemanden anvertrauen“, sagt Wieruch. Die Helfer leisten auch Lobbyarbeit. So war der Weiße Ring maßgeblich daran beteiligt, dass der Nachstellungs-Paragraf 238 im März 2007 eingeführt wurde, der Stalkingopfer strafrechtlich besser schützt. Er hat auch erreicht, dass Opfer als Nebenkläger im Prozess auftreten und über einen Anwalt eigene Anträge einbringen, Akten einsehen und den Prozess mitgestalten können. „Wir verstehen uns als Anwälte der Opfer“, sagt Hansen.

Die ehrenamtlichen Helfer begleiten die Opfer auch während eines Prozesses, wenn das gewünscht ist. So im Falle einer 45-Jährigen, deren Mann sie in Pinneberg auf offener Straße zunächst mit Säure übergossen hatte und anschließend mit einem Messer auf sie einstach. Die Frau hatte sich von ihm scheiden lassen wollen. Der Weiße Ring sorgte dafür, dass der Polin vor Gericht ein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Ihr Mann wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Das Opfer wird vermutlich lebenslang unter den körperlichen Schäden und auch den seelischen Folgen der Tat leiden. Zu allem Unglück verstarb die Mutter des Opfers, das zudem an Krebs erkrankt ist, während der Prozesszeit. Um das Leid ein wenig zu lindern, finanziert ihr der Weiße Ring einen Ferienaufenthalt.

Der Verein finanziert sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Bußgeldern. „Uns standen 2013 rund 13.300 Euro zur Verfügung“, sagt Hansen. Davon flossen 4000 Euro in Beratungsschecks für anwaltliche und psychotraumatologische Erstberatungen bei seelischen Belastungen infolge einer Straftat. Auch wenn das Opfer zunächst davor zurückschreckt, den Täter anzuzeigen, raten die Helfer dazu, ein gerichtsmedizinisches Gutachten anfertigen zu lassen. Später kann es als wichtiges Beweismittel dienen, denn sexueller Missbrauch zum Beispiel verjährt erst nach zehn Jahren.

Opfer von Gewalttaten können sich unter der Telefonnummer 0151/55164637 an den Weißen Ring, Außenstelle Kreis Pinneberg, wenden.