Experte plädiert für achtjährige Grundschulzeit und sofortiges Eingreifen der Pädagogen, wenn Schüler Ärger machen

Kreis Pinneberg. Nachsitzen für die Lehrer: Zu einem Workshop für moderne schulische Erziehungsmethoden lud das Schulamt Pädagogen und Erzieher ein. Gut 115 Fachkräfte folgten dieser Einladung und hörten sich an, was Ahmet Toprak ihnen zu sagen hatte. Der Professor für Erziehungswissenschaften der Fachhochschule Dortmund, der über muslimische Familien in Deutschland geforscht hat, riet ihnen, das Denken in Schablonen beiseite zu lassen und bei Fehlverhalten sofort auf die Jugendlichen einzuwirken. Unser Schulsystem kranke daran, dass die Kinder zu früh in weiterführende Schulen selektiert würden. Das schränke die Bildungschancen von sozial schwachen und Migranten-Familien ein, wie auch die internationalen Vergleiche der Pisa-Studien herausgearbeitet hätten.

Wie sollten Pädagogen mit verhaltensauffälligen Jugendlichen umgehen, die den Unterricht stören? Toprak empfahl den konfrontativen Ansatz. So solle der Lehrer einem Schüler, der zu spät zum Unterricht kommt, dieses Verhalten nicht durchgehen lassen. Wenn der sich entschuldige, dass er den Bus verpasste und deshalb für sein Zuspätkommen nichts könne, müsse der Lehrer ihn sofort dazu ermahnen, dass er selbst für sein Handeln verantwortlich sei. „Nicht andere haben Schuld, nicht der Bus, der ihm vor der Nase weggefahren ist, nicht das Frühstück, das er erst aufessen sollte, bevor er aus dem Haus durfte, und auch die Oma nicht, die ihn zu spät geweckt hat.“ Die Jugendlichen müssten begreifen, die Verantwortung nicht auf Dritte abzuschieben.

Lehrer und Sozialpädagogen, die ihren Schützlingen dies vermittelten, hätten es einfacher mit ihnen. Verhaltensauffällige Jugendliche müssten diese Grenzen lernen, und die Pädagogen sollten deshalb gleich beim ersten Fehlverhalten entsprechend intervenieren, sagte Toprak. Konfrontation bedeute aber nicht, dass sich der Pädagoge kompromisslos durchsetzen müsse. Im Gegenteil. Wieder gab Toprak ein Beispiel. So sollte ein Sozialpädagoge, der einem Jugendlichen Hausverbot für sein Jugendzentrum erteilte, weil dieser sich nicht an die Regeln hielt, sich konsequent, aber auch kompromissbereit zeigen, falls dieser doch wieder auftaucht. Der Pädagoge könnte ihn erst mit seinen Leuten reden oder eine Cola trinken lassen, bevor er ihn wieder vor die Tür setzte. „Das wäre eine Win-Win-Situation für beide“, so der Professor. „Wenn er ihm aber die Cola wegnimmt, eskaliert die Situation und womöglich wird die Polizei gerufen.“ Falls es soweit komme, griffen pädagogische Methoden nicht mehr. Aber diese seien wirkungsvoller als jede Strafmaßnahme.

Ein besonderes Augenmerk legte Toprak auf eine differenzierte Betrachtung muslimischer Familien, die hier leben. In seiner Studie, die 22 Familien mit 61 Personen aus der Türkei kommend nach ihren Einstellungen befragte, hat er vier Kategorien entdeckt. So gebe es moderne und leistungsorientierte Muslime in Deutschland, die sich praktisch nicht von der deutschen Mittelschicht unterschieden. Die Kinder dieser Familien sollten möglichst viel lernen und am liebsten studieren. „Diese Familien machen keine Probleme.“ Anders sei es mit den konservativ und religiös ausgeprägten Typen, wo Mädchen benachteilig und Eltern und Kinder kaum integriert seien und sehr viel Wert auf die Traditionen ihrer Herkunftsländer legten. Auch hier gelte als bester Ausweg aus dem Dilemma, diesen Migranten mehr Bildungschancen einzuräumen, damit sie sich aus dem konservativen Umfeld ihre Familie befreien und so integrieren könnten.

Allerdings bedürfe es dazu eines offenen Denkens bei den Lehrkräften wie auch in der Gesellschaft. „Wir müssen die Migranten wertschätzen und sie als Chance verstehen, die alternde Gesellschaft zu erneuern. Deutschland ist ein Einwanderungsland.“

Welche Blockaden es da aufzubrechen gilt, hat Toprak selbst erfahren. So ging er als Gastarbeiterkind in Köln auf eine Hauptschule. Eine Studium komme für ihn niemals in Frage, sagte seine Lehrerin. Toprak ging zurück in die Türkei, machte dort Abitur, studierte in Deutschland, promovierte und ist nun Professor für Erziehungswissenschaften. Seine frühere Lehrerin konnte das nicht begreifen. Als sie im Radio bei einem Interview mit Toprak hörte, welche Karriere er in Deutschland gemacht hatte, rief sie sofort beim Sender an, um zu erfahren, ob das wirklich ihr ehemaliger Schüler war. Der Sender vermittelte das Gespräch und die Lehrerin zeigte sich fassungslos. „Statt sich zu freuen, dass es hier ein Hauptschüler geschafft hatte, zu studieren.“

Das Hauptproblem sei das zu frühe Selektieren nach der Grundschule, sagte Toprak. Kinder mit bildungsfernem Hintergrund hätten schon bei der Einschulung eineinhalb Jahre Rückstand, die sie in vier Jahren gar nicht einholen könnten. „Dieses viel zu kurze gemeinsame Lernen ist schädlich.“