Hintergründige Werke der Quickborner Malerin Merle Greiner sind bis zum 2. Mai im Rellinger Rathaus zu sehen

Quickborn. Zart bauscht sich transparente Gaze vor einem Hintergrund, der nur auf den ersten Blick etwas Himmlisches hat. Je länger der Betrachter sich in die blaue Unendlichkeit auf diesem Bild der Quickborner Malerin Merle Greiner vertieft, desto abgründiger und rätselhafter erscheint sie. Wie in den berühmten Kameraeinstellungen des Regie-Altmeisters Alfred Hitchcock scheint unter der harmlosen Oberfläche etwas Unbekanntes, möglicherweise Gefährliches, in jedem Fall aber Spannendes zu lauern.

Mit einer auf ein Minimum reduzierten Farb- und Formensprache macht Greiner in diesem Bild, das den Titel „Der Schleier“ trägt, ein Unbehagen greifbar, das sich schwer in Worte fassen lässt. Das Bild geht auf einen realen Anlass zurück. Eine Freundin erkrankte an Krebs, und zwischen der späten Diagnose und dem frühen Tod blieb kaum Zeit zum Abschiednehmen.

„Damals habe ich gespürt, wie unfassbar schmal der Grat zwischen Leben und Tod ist“, sagt Merle Greiner. „Die beiden Welten trennt nur ein Hauch. Dafür ist die Gaze ein Sinnbild.“ Sie habe keine Angst vor dem Tod. Aber wie plötzlich ein Mensch unwiderruflich verschwinden könne, wie dünn die Linie zwischen Diesseits und Jenseits sei, das habe sie betroffen gemacht.

Diese Doppelbödigkeit, die nicht unbedingt so esoterisch, sondern häufig auch mit einem bodenständigen Augenzwinkern daherkommt, kennzeichnet viele Werke der 38 Jahre alten Künstlerin, die mit ihrem Sohn in ihrer kleinen „Villa eigenArt“ an der Ulzburger Landstraße lebt und arbeitet. Mehr als 20 ihrer Arbeiten – darunter auch „Der Schleier“ – sind in der Ausstellung „Der göttliche Kern“ im Rellinger Rathaus, Hauptstraße 60, zu sehen, die am 2. Mai endet.

Lichte Gelb-, Erd- und Blautöne prägen ihre Farbsprache. Abstrakte Motive überwiegen, typisch ist auch ihre Vorliebe für dick aufgetragene, deutlich strukturierte Farbschichten. „Ich arbeite zu 90 Prozent mit dem Spachtel, das darf nicht zu glatt sein“, sagt Greiner. Und am liebsten malt sie in Acryl. „Ich bin ein ungeduldiger Mensch, und Acryl trocknet am schnellsten.“ Dieser Umstand und die nicht unbedingt gesundheitsfreundlichen Zusatzstoffe in den Ölfarben, mit denen sie anfangs experimentierte, ließen sie auf Acrylfarbe umsatteln.

Viele Ideen kommen Merle Greiner, wenn sie mit dem Hund durch die Feldmark streift. „Da entsteht oft eine Grundidee. Die Details entwickeln sich beim Malen.“ Auch die Arbeit mit Kindern inspiriert sie. „Kinder sind toll. Mit wie viel Überzeugung sie malen, wie sie die Welt sehen, wie lebendig und unverkopft sie an die Dinge herangehen. Ich lerne viel von den Kindern, mit denen ich arbeite.“

Zu Merle Greiners Lieblingsbildern gehört das Selbstporträt eines Sechsjährigen, der sie von der Wand ihres Ateliers anlacht. Greiner gibt Kunstkurse an der nahen Quickborner Waldschule. Auch an der Ellerauer Kunstschule, die sie von 2003 bis 2006 betrieb, unterrichtete sie viele Kinder.

Merle Greiner kann von ihrer Kunst leben. Vielleicht nicht gerade hochherrschaftlich, aber ihr selbst geschaffenes Künstlerbiotop mit seinen Farbtuben, Staffeleien, Werkzeugen, dem gemütlichen Sofa und dem Garten strahlt eine kreative Unabhängigkeit aus, um die manche Zeitgenossen sie beneiden dürften. Zahlt sie einen Preis für diese Freiheit?

Sie legt den Kopf schief. „Ja, schon.“ Manchmal plagen sie Existenzängste. Reicht das Geld für die Miete? Wie hoch wird die Stromrechnung? Ist der Sohn gut versorgt?

Trotzdem will sie ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben. „Ich hatte ja das andere Leben“, sagt sie. „Und da war ich viel unglücklicher.“ Denn das Dasein als erfolgreiche Werbefachfrau mit schicker Altbauwohnung in Hamburg-Eppendorf, mit Firmenwagen, gutem Einkommen und jeder Menge Partys, das sie nach dem Marketingstudium jahrelang zelebrierte, füllte sie nicht aus. „Ich fand es irgendwann sinnlos, Markenlogos in Anzeigen um Millimeter nach rechts oder links zu verschieben.“

2002 stieg sie aus, ging nach Barcelona, jobbte, lernte Spanisch, saß am Hafen, schrieb Gedichte – und malte. Das hatte sie schon als Schülerin geliebt. Kunst wollte sie damals studieren. Doch ein Hochschullehrer sagte ihr schroff, sie solle sich etwas anderes suchen. Das entmutigte sie zunächst.

Nach dem Jahr in Barcelona knüpfte sie an ihre ursprünglichen Pläne wieder an. Ohne Kapital. „Ich fing bei null an.“ Doch die Dinge entwickelten sich gut. Sie eröffnete in Ellerau eine Kunstschule und hatte bald volle Kurse. „Es war, als hätten alle auf mich gewartet.“

Das Glück endete jäh. 2006 wurde das Haus verkauft, in dem sie sich mit ihrem Atelier eingemietet hatte. Dass sie außerdem als alleinerziehende Mutter für ein Baby zu sorgen hatte, machte die Lage nicht einfacher.

Das ist lange her, inzwischen laufen die Dinge wieder rund für sie. Diese Erfahrung hat sie gelassen gemacht. „Ich bin ein Fan des Hier und Jetzt. Das Leben ist eben bunt und irgendwie findet sich immer eine Lösung.“