Mit einer Bisswunde landet ein Wedeler im Klinikum Pinneberg. Nach drei Stunden Wartezeit gibt er entnervt auf

Wedel/Pinneberg. Ein Inhaber einer Ingenieursfirma in Tangstedt ist mit einer klaffenden Bisswunde knapp drei Stunden nicht im Regio Klinikum Pinneberg behandelt worden, obwohl seine Verletzung vor Ort als „dringend“ zu behandeln klassifiziert wurde. „Dringend“ heißt nach internationalen Richtlinien, dass die Behandlung in bis zu 30 Minuten beginnen soll. Die Regio Kliniken bedauern dies, sprechen von einem „Einzelfall“. Wie der Unternehmer, der sich in der Klinik letztlich selbst verbunden hat, die Vorfälle erlebte, schilderte er dem Abendblatt.

Er, das ist Sven Wiese, 55 Jahre alt. Der Wedeler ist geschäftsführender Inhaber einer Firma für Ingenieurbiologie, Erosionsschutz und Vegetationstechnik und beschäftigt 22 Mitarbeiter in Tangstedt; seine BGS Ingenieurbiologie und -ökologie GmbH kommt auf einen Jahresumsatz von rund zwei Millionen Euro. Der Laden läuft sehr gut.

Nicht so gut lief der Abend für Sven Wiese am Sonnabend, 15. Februar, dieses Jahres. Wieses Hund Oscar, 10, kaut gegen 18 Uhr an einem Knochen im Wohnzimmer des Wedeler Einfamilienhauses. „Der Knochen gehört da nicht hin!“, sagt sich Wiese – Oscar sieht den Knochen entschwinden, übersieht Herrchens Hand und, schwuppdiewupp, beißt er zu: hinein in Herrchens linke Hand. „Es war“, sagt Sven Wiese, „sehr schmerzhaft und hat stark geblutet.“ Trotzdem bleibt Herrchen gelassen und spricht von „einem Missverständnis zwischen Oscar und mir“.

Auf nach Wedel, in das Regio Klinikum. Sven Wiese kennt die Notaufnahme. Immer gab es Hilfe, schnell und professionell. An diesem Abend bekommt der Verletzte aber von einer Krankenschwester zu hören, dass die Klinik in Wedel am Wochenende „nicht mehr für Notfälle zuständig“ sei. Wiese möge in die Asklepios Klinik nach Rissen oder in die Regio Klinik nach Pinneberg fahren. Er bekommt als Erstversorgung nur einen Notverband von der Schwester, denn die Regio Kliniken haben die Notaufnahme in Wedel abgespeckt: Seit Juli 2012 arbeitet die Unfallchirurgie an der Holmer Straße 155 nur noch werktags von 8 bis 16 Uhr.

Also auf nach Pinneberg, ins Regio Klinikum. Wieses Frau fährt die 14,5 Kilometer von Wedel in die Kreisstadt. Die Kliniken in Wedel und Pinneberg gehören zum gleichen Konzern: der Sana Kliniken AG. Zu der privaten Krankenhausgruppe gehören deutschlandweit 48 Akut-, Fach- und Rehabilitationskliniken und Altenheime. Das Unternehmen hat 2012 einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro und einen Gewinn von rund 47 Millionen Euro erwirtschaftet. Firmensitz ist Ismaning bei München. Das Unternehmen beschäftigt 26.100 Mitarbeiter.

Jetzt wartet Sven Wiese am Sonnabendabend auf Versorgung in der Notaufnahme des Pinneberger Krankenhauses. Er nimmt Platz auf einem Stuhl. Zeitschriften liegen auf dem Fußboden des Wartebereichs. Der Sitz neben Wiese ist feucht von Flüssigkeit.

Die Regio Klinik arbeitet in der Notaufnahme nach dem Manchester-Triage-System (MTS) – ein standardisiertes Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notaufnahme. Darunter wird die erste Eingruppierung neu eintreffender Patienten verstanden. Ziel ist die schnelle Festlegung von sicheren und nachvollziehbaren Behandlungsprioritäten.

Nach dem MTS gibt es fünf Stufen der Behandlung: Sie soll „sofort“ beginnen, ist „sehr dringend“ (weniger als zehn Minuten Wartezeit), „dringend“ (weniger als 30 Minuten), „normal“ (weniger als 90 Minuten) und „nicht dringend“ (weniger als zwei Stunden). Sven Wieses Verletzung wird als „dringend“ zu behandeln taxiert, also binnen einer halben Stunde.

Daraus wird aber nichts. Sven Wiese wartet und wartet. Nach zwei Stunden und zehn Minuten nimmt eine Ärztin die Wunde in Augenschein. Sie sagt, dass man „bei dieser Art von Wunde“ nicht nähe. Nach zweieinhalb Stunden bereitet eine Schwester eine Spülung mit Desinfektionsmittel in einer silbernen Schale vor. Wiese führt die Spülung 20 Minuten lang durch. Nach knapp drei Stunden hat er die Faxen dicke: Er deckt die Wunde mit dem bereits leicht durchgebluteten Verbandsmittel grob ab und verlässt die Klinik. Im Gang begegnet er einer Ärztin. Sie sagt, „es geht gleich los“.

Nein, Sven Wiese will nicht mehr. Er ist auch sauer darüber, dass er in den drei Stunden drei Mal vergeblich nach einem Schmerzmittel gefragt hat.

Das Hamburger Abendblatt hat die Pressesprecherin der Regio Kliniken, Monika Klein, mit dem Vorfall konfrontiert. Sie sagt: „Bei der Aufnahme des Patienten ist dem Klinikum Pinneberg ein Fehler unterlaufen. Es handelt sich um einen Einzelfall, der aber keineswegs passieren darf.“ Während Wieses Wartezeit sei in der Anmeldung um 20 Uhr die Schicht gewechselt worden. „Bei der Übergabe wurde der Anmeldezettel des Patienten verlegt und nicht sofort übergeben“, sagt die Sprecherin. „Wir bitten den Patienten deshalb um Entschuldigung. Den Vorfall nehmen wir zum Anlass, die Vorgaben für die Übergabe beim Schichtwechsel zu überprüfen.“ Aus medizinischer Sicht werde es nicht empfohlen, Bisswunden zu nähen, sagt Monika Klein. Sie gibt keine Auskunft darüber, wie viele andere Patienten in der Notfallaufnahme in Pinneberg behandelt wurden, als Herr Wiese nicht behandelt wurde. Und sie will auch nicht sagen, wie viele Ärzte und Pfleger im Dienst waren.

Sven Wiese hat zumindest seinem Oscar schon lange wieder verziehen und bewertet den Vorgang im Regio Klinikum zu Pinneberg mit hanseatischer Gelassenheit: „Die Notaufnahme des Sana-Krankenhauses scheint an diesem Abend ein wenig überfordert gewesen zu sein. Das lange Warten lag sicher nicht an der Qualität der Mitarbeiter, sondern an den Umständen der Organisation.“