1983 wurde Katharina in Seestermühe auf einer Mülltonne ausgesetzt. Jetzt will sie gemeinsam mit dem „Stern“ ihre Vergangenheit aufarbeiten

Seestermühe. „Warum?“ Diese Frage liegt Katharina am Herzen. So sehr, dass sie jetzt mit Hilfe der Medien offensiv nach ihren leiblichen Eltern sucht, um sie ihnen endlich stellen zu können. Vor 31 Jahren wussten sich ihre Mutter und ihr Vater wohl nicht anders zu helfen, als das damals gerade geborene Kind auf einer Mülltonne in Seestermühe auszusetzen. Das Findelkind von damals ist erwachsen geworden. Es lebt in Hamburg und studiert Kunstgeschichte. Ihre Adoptiveltern, die in Schenefeld leben, sind mächtig stolz auf sie. Doch der Gedanke, woher sie stammt, lässt Katharina einfach nicht los. Vor einem Jahr fasste sie den Entschluss, etwas zu tun. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Stern“ erzählt die junge Frau jetzt ihre Geschichte und hat damit einiges ins Rollen gebracht.

„Es gibt viele Anfragen von anderen Medien, und es haben sich auch andere Findelkinder gemeldet, die wie ich ihre Eltern suchen. Das fühlt sich gut an und bestärkt mich darin, das Richtige zu machen“, berichtet Katharina. Einen Hinweis auf ihre Herkunft gibt es allerdings noch nicht. Doch das beunruhigt die Hamburgerin nicht. Es könnte sich ja noch jemand melden. Und wenn nicht, ist das für Katharina auch ein Ergebnis, mit dem sie leben könnte: „Es wäre zwar schade, aber ich könnte damit anders abschließen, weil ich einfach alles dafür getan hätte, sie zu finden.“

Bei ihrer Suche unterstützen sie ihre Adoptiveltern nach Kräften. Papa Michael Behrens, der in Schenefeld unter anderem im Kunstkreis aktiv ist und auch für die Grünen in der Kommunalpolitik mitmischt, begleitete sie unter anderem auch zur Talkshow mit Reinhold Beckmann, die am Donnerstag ausgestrahlt wurde. Für ihn ist es selbstverständlich, seiner Tochter den Rücken zu stärken. „Im ersten Augenblick waren wir überrascht, als sie uns den Entschluss unterbreitete. Aber wir haben keine Angst davor. Wir haben nie verschwiegen, dass sie adoptiert ist. Trotzdem sind wir ihre Eltern“, so Behrens. Die Eltern waren es auch, die Katharina schon vor Jahren eine Mappe schenkten, in der sich alle Dokumente und Zeitungsartikel befanden, die es zu ihrem Fall gab.

Michael und Angelika Behrens haben noch ein zweites Kind, einen drei Jahre älteren Sohn. Doch weil die Geburt äußert schwierig verlief, entschlossen sie sich vor mehr als 30 Jahren, sich als Adoptiveltern zur Verfügung zu stellen. „Wir dachten damals, die würden gesucht. Umgekehrt war es aber der Fall“, erinnert sich Behrens. Ein Jahr lang dauerte es, bis das Paar alle Formalien durchlaufen hatte und offiziell auf einer Liste des Kreis Pinneberger Jugendamtes aufgeführt wurde. „Es ging dann erstaunlich schnell. Im März waren wir offiziell gelistet, im August kam Katharina“, erinnert sich Behrens. Wobei Katharina damals noch „Mittwoch“ hieß. So hatten die Krankenschwestern das Findelkind von Seestermühe getauft, das am Mittwoch, 3. August 1983, gefunden wurde.

Um 9.30 Uhr hatte die damals 17-jährige Stefanie Lahr ihr Haus, die ehemalige Schule der Gemeinde, verlassen, um mit dem Rad ins Dorf zu fahren. Auf einer der beiden Mülltonnen, die vor dem Haus standen, entdeckte sie das in ein Handtuch eingewickelte Baby. Es kam sofort ins Altonaer Kinderkrankenhaus. Parallel starteten Polizei und Kripo die Suche nach der Mutter.

„Damals sind Polizeiwagen durch den Ort gefahren und haben per Lautsprecherdurchsage nach Zeugen gesucht“, erinnert sich der heutige Bürgermeister Thorsten Rockel. Er war damals 16 Jahre alt, ging in die neunte Klasse. „Die Sache mit dem Baby war tagelang das Gesprächsthema im Ort.“ Doch so langsam geriet der Fall dann in Vergessenheit, die Polizei stellte die Ermittlungen ein.

„Für uns ist bis heute klar, dass es niemand von uns gewesen sein kann“, sagt Rockel. 1983 habe Seestermühe 783 Einwohner gezählt, deren Verbindungen untereinander viel enger waren als heute. Rockel: „Jeder kannte jeden, das wäre schnell herausgekommen.“ Es müsse jemand von außerhalb gewesen sein, der das Baby auf der Mülltonne ablegte. Tatsächlich fiel damals Zeugen ein roter Kadett auf, der gegen 6 Uhr morgens in der Gemeinde gesehen wurde. Gefunden wurde er nie – ebenso wenig wie die leiblichen Eltern von Katharina. Und das, obwohl sich der damalige Bürgermeister Otto Schinkel in den Medien als Vertrauensperson anbot und versprach, die Identität der Mutter geheim zu halten. Tatsächlich rief am selben Tag eine Frau bei Schinkel an. Sie sprach kurz mit der Frau des Bürgermeisters, meldete sich aber nie wieder.

„Von dem Findelkind haben wir bis zum Herbst 2013 nichts mehr gehört“, berichtet Rockel. Doch dann habe Otto Schinkel ihn ganz aufgeregt angerufen. „Er sagte zur mir: ‚Rate mal, wer sich gerade gemeldet hat‘“, sagt Rockel. Einige Zeit später habe der Altbürgermeister ihm dann von einem Treffen mit Katharina und Journalisten der Zeitschrift berichtet. Die haben viele handelnde Personen von damals aufgesucht und eine große Kampagne gestartet, um Katharina bei ihrer Suche zu helfen.

Was würde passieren, wenn diese erfolgreich ist? Das macht Katharina von ihren leiblichen Eltern abhängig. „Für sie ist es schwerer als für mich. Aber ein Treffen wäre schön“, sagt Katharina dem Abendblatt. Ihre Schenefelder Eltern müssten „keine Angst haben, dass sie ihre Rolle in meinem Leben verlieren könnten.“ Haben sie auch nicht. „Sie ist eine tolle Tochter. Ihren Schritt finde ich mutig“, sagt Michael Behrens.

Ob es Katharina verletzt, als Kind ausgesetzt worden zu sein? „Wenn ich rational darüber nachdenke, ist mir klar, dass es Gründe gab. Ich würde sie nur gern kennen.“