Familie aus Tornesch hat einen kleinen Sohn verloren, zwei weitere sind unheilbar krank. Nun setzt sie sich für andere ein

Tornesch. „Mama, Kjell müde. Mama, Kjell schlafen“, flüsterte ihr Sohn, bevor er für immer seine Augen schloss. Knapp ein Jahr ist es her, dass ihr drei Jahre altes Kind in ihren Armen starb. Frank und Tanja Petrowski waren bei ihm. Lange haben die Eltern gekämpft, monatelang im Krankenhaus verbracht, waren von Arzt zu Arzt gelaufen. Doch zahlreiche Operationen und hinzugezogene Experten konnten nicht verhindern, dass der kleine Kjell im Schlafzimmerbett der Eltern an seiner unheilbaren Darmerkrankung starb. „Es war ein Kampf, den wir nicht gewinnen konnten“, sagt Tanja Petrowski heute. Ihre Stimme schwankt zwischen traurig und tapfer. Verbittert klingt sie nicht. Im Reihenhaus in Tornesch hat der Tod irgendwie schon lange seinen Schrecken verloren. Kjell sei Dank.

„Er hat mir die Angst vorm Sterben genommen“, sagt Frank Petrowski über seinen Sohn, auf den er so stolz ist. Es war nicht das einzige, was der kleine kranke Junge seiner Familie vor seinem Tod schenkte. Er habe ihnen beigebracht, das Leben in jedem verbleibenden Moment auszuschöpfen. „Er war voller Lebensfreude. Erwachsene geben schnell auf. Kinder dagegen akzeptieren ihr Schicksal. Kjell genoss die ihm gegebene Zeit“, berichtet Tanja Petrowski. Sein Tod habe sie dazu verpflichtet, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Mit dem schweren Schicksal hadern – das kommt für Petrowskis nicht infrage. „Wir sind es unserem Kind schuldig, sein Leben weiter zu leben. Welches Recht haben wir aufzugeben?“, fragt die 36 Jahre alte Mutter.

Die blasse junge Frau wirkt gefasst, während sie über Krankheiten und Symptome spricht wie andere über Telenovelas. Medizinische Fachausdrücke gehen ihr leicht über die Lippen. Es gab Zeiten, da verbrachte Tanja Petrowski mehr Zeit im Krankenhaus und mit Ärzten als mit ihrer Familie. Allein 2012 war sie mit Kjell insgesamt zehn Monate im Krankenhaus.

Währenddessen übernahm ihr Mann, der in Vollzeit arbeitete, die Erziehung der anderen drei Kinder. Das Unbegreifliche: Zwei von ihnen sind aufgrund eines Gendefekts ebenfalls unheilbar krank. Drei Jahre lang hofften und bangten die Eltern, bis klar war, was Tjorben und Finn Ole fehlt. Die heute acht und elf Jahre alten Jungen leiden an einen seltenen Erbkrankheit, der Muskeldystrophie Becker-Kiener. Sie tritt nur bei Männern auf, ihre zehn Jahre alte Schwester Linnéa ist nicht betroffen. Die Muskelschwäche schränkt die Kinder schon heute in ihrer Bewegung ein. Sie werden schneller müde, haben Entwicklungsstörungen und Epilepsie. Ihre Lebenserwartung ist verkürzt. Trägerin des Gendefekts ist die Mutter, wie die Familie heute weiß. Ein weiteres Kind kam deshalb nicht in Frage. Kjell war ungeplant. Lange verheimlichte Tanja Petrowski ihre Schwangerschaft, bis klar war: Er hat den Gendefekt nicht. Kjell kam gesund zur Welt. Umso härter traf es die Eltern, als später sein Darmleiden auftrat.

Das Paar aus Tornesch hat in den vergangenen Jahren viel durchgemacht, hat Höhen erlebt und ist in unvorstellbare Tiefen abgestützt. Trotzdem haben die beiden nicht aufgeben. Im Gegenteil. Sie engagieren sich sogar für andere betroffene Eltern. Tanja Petrowski ist im Vorstand des Vereins Familienhafen aktiv, einem ambulantem Kinderhospizdienst in Hamburg. Helfer des Vereins standen auch ihrer Familie in schweren Stunden bei, Familienlotsin Nicole Daffinger unterstützt sie bis heute. Ihr Mann absolviert derzeit eine Schulung zum ehrenamtlichen Familienbetreuer. Er möchte eine Selbsthilfegruppe für trauernde Männer gründen. „Väter müssen sehr viel schneller wieder funktionieren. Wir werden in der Gesellschaft oftmals vergessen“, sagt er. Der Kursus, der ihn auch befähigt, als ehrenamtlicher Hospizhelfer Familien aufzusuchen, würde ihm auch persönlich sehr helfen, das Geschehene zu verarbeiten.

Ihm zur Seite steht dabei ein Arbeitskollege. Weil gerade männliche Helfer dem Verein Familienhafen fehlen, warb Frank Petrowski ihn an. Er erzählte ihm einfach seine Familiengeschichte, morgens um sechs Uhr, kurz vor Arbeitsbeginn in Wedel. Robert Fouquet konnte nicht mehr Nein sagen, wollte es aber auch nicht. Mit seiner Offenheit und Tapferkeit überraschte Petrowski auch seinen Chef, als der ihn vor ein paar Monaten mal fragte, wie es ihm denn so ginge. Petrowski nahm die rhetorische Frage wörtlich und daraus erwuchs eine Spendenaktion. Mit 7400 Euro unterstützte das Unternehmen Jenoptik den Verein Familienhafen und stellte auch eine dauerhafte finanzielle Hilfe in Aussicht.

Es sind genau diese Momente, in denen Petrowskis sich ein wenig besser fühlen. Denn durch sie lebt Kjell weiter. „Ihn so am Leben zu halten, hilft mir, aber auch anderen“, sagt Tanja Petrowski. Und so erzählte sie kürzlich auch den neuen ehrenamtlichen Familienlotsen in Ausbildung von ihrem Jungen und was es bedeutet, Hospizarbeit zu leisten. Dass der Tod irgendwann an Bedeutung verliert und nur der Moment noch zählt.