Im Uetersener Museum Langes Tannen zeigt Reiner Ter Fotografien verfallender Sanatorien und Kasernen der Kaiserzeit

Uetersen. Die Strecke nach Berlin könnte Reiner Ter vermutlich mit verbundenen Augen fahren, so oft war der Fotograf in den vergangenen zwei Jahren dort. Dabei interessierten den in Uetersen geborenen und aufgewachsenen Ter weniger die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Er tummelt sich meistens dort, wo alles Leben längst Geschichte ist. In verlassenen Industrieanlagen, ehemaligen Kasernen und ganz besonders gern in verfallenden Sanatorien, von denen es rund um Berlin eine Menge gibt. Anders als im Westen Deutschlands blieben viele Gebäudekomplexe aus der Kaiserzeit auf dem Gebiet der früheren DDR stehen. Viele davon wurden weiter genutzt und stehen seit dem Abzug der russischen Besatzungstruppen Anfang der 90er-Jahre leer.

Stundenlang streift Ter mit seiner Pentax 645D durch Säle, von deren Wänden die Farbe abblättert, passiert gespenstisch stille Korridore, sucht hinter mit Brettern vernagelten Fenstern nach der perfekten Perspektive. Heraus kommen Aufnahmen von morbider Schönheit und grafisch anmutender Eleganz. Ein weißer Gazevorhang, der sich in der ehemaligen Jugendhochschule der FDJ „Wilhelm Pieck“ in Wandlitz vor einem offenen Fenster bauscht, verleiht dem menschenleeren Treppenhaus eine Aura von Verwunschenheit. Das Tageslicht, das durch die Ritzen zwischen den Brettern fällt, mit denen die Fenster eines alten Lagerraums in der Fliegertechnischen Schule in Jüterbog vernagelt worden sind, scheint magisch zu strahlen.

Die schönsten dieser Fotos zeigt Ter jetzt in der Ausstellung „Verlassen, vergessen … und fast verloren“, die das Uetersener Museum Langes Tannen an der Heidgrabener Straße dem Künstler zum 60. Geburtstag widmet.

Eröffnet wird die Schau am Sonnabend, 15. Februar, um 16 Uhr in der Museumsscheune. Die Fotografien werden dort bis einschließlich 18. Mai mittwochs, sonnabends und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr zu sehen sein.

Der kunstfertige Umgang mit Licht als spannendem Gestaltungselement ist ein Markenzeichen der Fotografien von Ter. „Ich fotografiere ausschließlich mit dem vorhandenen Licht“, sagt er. „Das ergibt oft ein sehr spannendes Licht und tolle Streiflichter.“ Deshalb setzt Ter auf extrem lange Belichtungszeiten. Gebäude als Fotomotive faszinieren den Fotografen, der in den 70er-Jahren bei der früheren Uetersener Druckerei Röpcke das Handwerk des Schriftsetzers und Reprofotografen erlernte, schon seit seiner Jugend. „Architektur interessiert mich brennend.“ Er begeistert sich für grafische Strukturen und die puristische Geradlinigkeit von Häusern, Türmen und Schlössern.

Portraits von Menschen oder wilden Tieren sucht man in Ters Werk dagegen vergeblich. „Menschen zu fotografieren, Hirschen und Kranichen nachzujagen, ist einfach nicht mein Ding.“ Das geht so weit, dass er Passanten, die nichts ahnend ihr Auto genau vor dem von ihm angepeilten Objekt abstellen wollen, höflich, aber bestimmt bittet, sich fürs Erste einen anderen Parkplatz zu suchen.

20 Jahre lang lichtete Ter Leuchttürme ab, mit denen Verlage unzählige Kalender gestalteten. „Ich bin ein großer Küstenfan und viel in Irland und Schottland unterwegs gewesen.“ Um sich eine ideale Perspektive zu sichern, bereitete der Perfektionist Ter sich schon damals akribisch auf die Begegnung mit den urigen Küstenwahrzeichen vor. In seinem Haus lagern fast 80 Landkarten, die Schottland im Maßstab 1:50000 zeigen.

Auf die Idee, die verfallenden Bauten ins Bild zu setzen, brachte ihn ein Bekannter. Die klaren architektonischen Strukturen, der morbide Charme der verlassenen Stätten faszinierten Ter auf Anhieb. Die Ansichten verlassener Behandlungsstühle, die gekachelte Ästhetik altertümlicher Solebäder oder schön geschwungener Treppenhäuser in gründerzeitlichen Lungenheilanstalten, über die einst Tausende von Kinderfüßen geklettert sind, berühren den Betrachter.

„Mir geht es um ein gutes, spannendes Foto“, sagt Ter. Jede Aufnahme kontrolliert er direkt vor Ort über das Display so lange, bis alles stimmt, bevor er das Stativ mit der aufgesetzten Kamera ein erstes Mal wieder bewegt. „Wenn man Architekturfotografie ernst nimmt, muss man ein Perspektiveperfektionist sein.“