Sie machen Politik im Kleinen – und gehen dabei oft aus Frust oder bewusst auf Distanz zu den Parteien in Städten und Gemeinden

Fast alle Parteien in Deutschland beklagen seit Jahren einen massiven Mitgliederschwund. Immer mehr Bürger scheinen der Politik überdrüssig und politisch nicht interessiert. Doch es geht auch anders.

In den vergangenen Jahren sind immer mehr Bürgerinitiativen (BI) und Interessengemeinschaften in Deutschland gegründet worden, um lokale Projekte zu begleiten oder anzustoßen. Im dritten Teil unserer Analyse der politischen Landschaft im Kreis Pinneberg stehen daher die BIs im Mittelpunkt. Sie machen nach eigener Aussage Politik mit anderen Mitteln, ohne Parteibuch und oft mit Erfolg. Nicht wenige Aktivisten gehörten zuvor einer Partei an, manche engagieren sich nach erfolgreicher BI-Arbeit in einer Partei oder Wählergemeinschaft.

Zwei Beispiele solcher aktiver Bürgergruppen im Kreis sind die BI Wohnqualität im Grünen (BIWiG) Schenefeld und die Interessengemeinschaft Südtangente (IGST) in Tornesch. Beide kämpfen seit Jahren um die Belange betroffener Bürger und beide Gruppen haben sich zu ernsten Gegenspielern für die Politiker vor Ort entwickelt.

Heinz Grabert gehört zu den Initiatoren der Schenefelder BIWiG. Einst war er auch Politiker, doch das hat er relativ schnell wieder aufgegeben. Weil die Politik zu verlogen sei, wie er sagt. Ein Sportplatzprojekt in seinem Wohnumfeld hatte bei ihm das politische Gestaltungsinteresse geweckt. 2009 sammelte er mit anderen Bürgern Unterschriften, um das Projekt zu stoppen. „Damals sprach mich die FDP an und fragte, ob ich nicht bei ihnen mitmachen wolle, da mein Anliegen Teil ihres politischen Programms sei“, sagt Grabert. Die Idee erschien im schlüssig.

Als bürgerliches Mitglied saß er kurze Zeit später im Ausschuss für Schule und Sport. „Ich habe da erkennen können, wie der Hase in der Politik läuft“, sagt der Schenefelder. Er redet von Absprachen hinter den Kulissen, Tricksereien und Kumpanei. Wenn ein Bürger ein Thema im Rat anspreche, etwa in einer Bürgerfragestunde, sei bereits längst alles beschlossen – und an den Beschlüssen werde nicht gerüttelt. Er trat wieder aus der Partei aus.

Ähnlich erging es Jürgen Körner von der IGST. Der Tornescher trug in den 80er-Jahren zwei Legislaturperioden lang das CDU-Parteibuch bei sich. „Ich bin wegen der Kreisstraße 22 damals in die Politik gegangen. Ich wollte über die Parteiarbeit etwas in der Sache bewegen. Ich hatte aber auch anderweitig politisches Interesse, sodass es mir damals sinnvoll erschien, in die CDU einzutreten“, sagt Körner. Die Erfahrungen in der Partei seien überwiegend positiv gewesen, doch weil er, wie er sagt, zu jenen gehöre, die nicht immer klein beigeben und lieber seine eigene Meinung verteidige, habe er es bald schwer gehabt. Als er der „Mauscheleien hinter den Kulissen“ überdrüssig war und ohnehin ständig in der Partei geschnitten wurde, fast eine Persona non grata war, da nahm auch er seinen Hut. „Dennoch, das Positive überwiegt für mich. Man sollte Politik aber nicht ewig machen“, sagt er. Das sei nicht gut für den Charakter.

Für IGST-Sprecher Michael Krüger war von vornherein klar, dass er nicht in die Politik gehen wolle. Das nehme zu viel Zeit in Anspruch. Außerdem wolle er sich lieber einem Thema, der Kreisstraße 22 (K22), vernünftig widmen, als vielen Themen nur halbherzig. Und das, ohne sich einer Parteipolitik beugen zu müssen. Dass Bürgerinitiativen fachlich oft besser als die Politiker zu ihren speziellen Themen informiert sind und damit auch die besseren Fakten und Argumente auf ihrer Seite haben, ist für Krüger unbestreitbar. Dafür werde auch teuer fachlicher Rat eingekauft und würden Gutachten erstellt.

Weil sie so gut vorbereitet seien und daher auch unbequeme Fragen stellten, seien Bürgerinitiativen, selbst wenn sie grundsätzlich ernst genommen würden, auch oft das Feindbild der Politik, glaubt er. „Die Politik kommt oft in Erklärungsnöte, wenn sie mit den Fakten von Bürgerinitiativen konfrontiert wird“, sagt Krüger. Das schmecke vielen Politikern nicht. Vielleicht fürchte die Politik, bloßgestellt zu werden. „Wer in Sitzungen Detailfragen stellt, wird zum Feind“, sagt er. Das Ergebnis sei dann zuweilen, dass die Sachebene verlassen werde und Beleidigungen und Diffamierungen in Richtung der politisch aktiven Bürger geschmettert würden.

Heinz Grabert und sein Mitstreiter Adolf Holtschneider berichten über dieselben Erfahrungen in Schenefeld. Auch sie seien teils wüst beschimpft worden, als Fakten nicht widerlegt werden konnten. Als Bürgerinitiativenmitglied brauche man daher ein dickes Fell und Geduld. „Man muss aber vor allem fachlich kompetent sein, sonst wird es schwer, gegen die Politik zu bestehen“, sagt Holtschneider. Die teuren Gutachten und die Anwaltskosten seien auch das, wovor viele BIs letztlich zurückschreckten, wenn es ernst werde und der Klageweg gegangen werden müsse.

„Das Problem ist, dass ab diesem Moment mit ungleichen Mitteln gekämpft wird“, sagt Grabert. Denn während die BIs zusehen müssten, woher sie das Geld für Prozesse bekommen, könne die Stadt entspannt auf Steuergeld zurückgreifen. Wenn dann aber vor Gericht ein Erfolg erzielt werde, so wie im Falle der Zulassung des Bürgerentscheids in Schenefeld, so sei das eine Genugtuung, die für die aufreibenden Monate und Jahre entschädige.

Politiker sollten Volksvertreter und nicht Parteienvertreter sein

Hedwig Röper von der BIWiG beklagt, dass die Politik immer darauf beharre, dass sie Recht habe, dass es politischer Wille sei, was sie beschließe und der Bürger sich dem zu fügen habe. „Was ist denn der politische Wille? Das Votum der Bürger“, sagt die Aktivistin. Die Politik solle nicht nur ihre Rechte sehen, sondern vor allem ihre Pflicht gegenüber den Bürgern. Dazu gehöre auch, den betroffenen Bürgern vor Ort zuzuhören, sie ernst zu nehmen und deren Interessen zu vertreten und zu wahren, soweit dies möglich sei. Doch Karriere- und Geschäftsinteressen würden viele Politiker blind machen für das, was eigentlich ihre Aufgabe und Bestimmung sei, nämlich Volksvertreter zu sein und und nicht Parteienvertreter.

Krüger und Körner sehen das ähnlich. Vielfach seien die Strukturen in der Politik seit Jahrzehnten so festgefahren, dass selbst Kommunalpolitiker stur Parteipolitik fahren würden. Das sei in Bürgerinitiativen anders. „Dort gibt es keine Bindung an Parteiprogramme“, sagt Körner, es seien weniger Scheuklappen im Spiel.