Helfer bringen unverkaufte Berliner in Hospize und Heime. Schenefelder organisieren die große Auslieferungsaktion

Schenefeld. Jule Vickery weiß, wie es sich anfühlt, allein mit Sorgen und Ängsten zu sein, während andere feiern. Ihr jüngster Sohn kam zu früh auf die Welt. Weil nicht alles so glatt verlief, verbrachte die Schenefelderin viel Zeit im Krankenhaus, auch an Feiertagen. „Man ist so isoliert und fühlt sich von der Welt verlassen“, erinnert sich Vickery. „Kleine Gesten haben da viel Gewicht.“ Bei Vickery war es ein geschenkter Apfelkuchen, der nachwirkte und Jahre späte dafür sorgte, dass die Schenefelderin eine ungewöhnliche Aktion ins Leben rief: den „Silvester Express“. Und der hat mit den Jahren ganz schön Fahrt aufgenommen.

Was 2010 mit einer spontanen Verteilung einiger Hundert Berliner mit befreundeten Helfern begann, hat sich zu einer organisierten Großaktion gemausert. An diesem Dienstag, wenn die Filialen des sich an der Aktion beteiligenden Halstenbeker Bäckereiunternehmens Schlüter gegen Mittag schließen, schwärmen zehn Helfer-Teams aus, um die unverkauften Berliner an Bedürftige zu verteilen. Erstmals werden dabei alle neun Filialen der Firma Schlüter angesteuert. Voraussichtlich mehr als 1000 unverkaufte Berliner können anschließend beispielsweise an Patienten in den Krankenhäusern in Wedel, Rissen, Altona und Eppendorf sowie an die Kinder des Hospizes Sternenbrücke, an Bedürftige der Obdachlosenunterkünfte in Hamburg und an die Besatzung von vier erwarteten Schiffen über die Hamburger Seemannsmissionen verteilt werden.

Die Vorbereitungen laufen dafür bereits seit November. Genügend Helfer mit fahrbarem Untersatz mussten gefunden, ein Routenplan aufgestellt und einige Einrichtungen über den möglichen Besuch informiert werden. „Das ist eine logistische Herausforderung“, sagt Vickery. Denn es gibt viel zu bedenken. So dürfen die Berliner mit Schuss natürlich nicht an Einrichtungen für trockene Alkoholiker verteilt werden. Da unklar ist, wie viele Berliner nach Ladenschluss übrig bleiben, gibt es vereinbarte Treffpunkte für die Helfer-Teams an Knotenpunkten, damit die süße Spende auch gleichmäßig aufgeteilt werden kann. Mit Einrichtungen, wo sonst Besuch eher unüblich ist, mussten Zeiten und Ansprechpartner vereinbart werden. Zudem haben die Vickerys mit einiger zeichnerischer Unterstützung einen kleinen Brief mit ein paar aufbauenden Zeilen entworfen, der mit den Berlinern verteilt wird.

Warum sie und ihr Mann das alles machen? „Jeder tut, was er kann“, sagt Jule Vickery. „Weihnachten und Silvester sind Feiern des Überflusses, und auf der anderen Seite gibt es immer mehr, die gar nichts haben.“ Auf die Idee mit den Berlinern kam sie, nachdem sie einmal vergessen hatte das bestellte Gebäck bei der Schlüter-Filiale um die Ecke abzuholen. Sie erfuhr, dass jedes Jahr zwar Tausende Berliner verkauft werden, aber auch einige als Ladenhüter zurückbleiben. Warum damit nicht etwas Gutes tun? fragte sich Jule Vickery und stieß bei den Inhabern des Halstenbeker Familienbetriebes auf offene Ohren. „Wir profitieren in diesem Fall von der Wegwerfgesellschaft. Es wird erwartet, dass Unternehmen bis zum Ladenschluss die Ware vorhalten. Da muss etwas übrig bleiben. Das können wir zu denen bringen, die sonst vergessen würden“, so Vickery.

Zum ersten Mal steuert der Silvester-Express in diesem Jahr die Einrichtungen der Hamburger Großstadtmission an. In Schnelsen, Iserbrook und in Prisdorf werden die Helfer und ihre Berliner erwartet. Unter anderem bekommen so auch die 42 betreuten Menschen mit Behinderung, die in der Einrichtung in Prisdorf leben, Besuch. „Das ist für die Bewohner ein ganz tolles Geschenk“, sagt Bereichsleiterin Heike Jordan. Essen sei für die Menschen mit Behinderung ein Highlight und noch viel wichtiger als das Knallen zum Jahreswechsel. Umso mehr würden sie sich über dieses „Bonbon“ freuen. Für die Bereichsleiterin symbolisiert die Aktion aber noch etwas anderes. „Man denkt hier an Menschen, die sonst doch eher am Rande der Gesellschaft leben. Man schenkt ihnen Aufmerksamkeit und zeigt, das sie zur Gemeinschaft in Prisdorf gehören“, so Jordan.

Zum ersten Mal sind auch Regina Cieslak und ihre zwölf Jahre alte Tochter Milena dabei. Die Schenefelder übernehmen Route sieben. Um 13.30 Uhr, wenn die Türen der Schlüter-Filiale an der Elmshorner Straße in Pinneberg schließen, holen die beiden ab, was an Berlinern übriggeblieben ist und bringen sie unter anderem zur Kinderstation des Albertinenkrankenhauses und zu einer Wohngruppe der Großstadtmission in Schnelsen. „Uns kostet es doch nur etwas Zeit“, sagt Cieslak. „Anderen bereiten wir ein kleines Vergnügen.“

Wer sich dem Silvester-Express anschließen möchte, kann Kontakt zu Jule Vickery aufnehmen – per E-Mail an julevickery@yahoo.de .