Vier Adventssonntage, vier Perspektiven: Im vierten Serienteil besuchen wir eine muslimische Familie in Elmshorn

Elmshorn. Im Flur steht eine schwarz-rot-goldene Vuvuzela. An den Wänden hängen Familienfotos, dazwischen ein aufgeklebtes Puzzle von Spongebob, den die Kinder so lieben. Es duftet nach frisch gebackenem Kuchen. Im Wohnzimmer steht ein Weihnachtsbäumchen aus Kunststoff. Wenn die Lichterketten brennen, sieht er gar nicht mehr so mager wie auf den ersten Blick aus. Auf dem Couchtisch liegt neben dem Koran eine Kinderbibel.

„Wir erziehen unsere Kinder zu toleranten Menschen“, sagt Nigras Saed. „Sie sollen auch anderen Religionen und Kulturen gegenüber offen sein.“ Sie selbst ist Muslimin. Die Irakerin kam vor zehn Jahren nach Deutschland. Als Sunnitin war sie in ihrer Heimat nicht sicher. Nach einem halben Jahr in Asylbewerberheimen führte sie ihr Weg nach Elmshorn. Ihr Mann Naeem Anjal verließ den Irak bereits vor 20 Jahren. Der Bauingenieur kam über Polen nach Deutschland. Nur einmal war der 53-Jährige seitdem in der alten Heimat Diyala. Das war vor zwei Jahren. „Wir fühlen uns in Deutschland wohl“, sagt Naeem Anjal. Es sei ein sicheres und schönes Land. „Wir sind zufrieden.“

Friedliche Weihnachten wünschen sich die meisten Menschen. Doch für Nigras Saed haben diese Worte Gewicht. Sie erzählt von Bomben über Bagdad und wie sie sich als Kinder in der Schule während der Angriffe an die Wand kauern musste. „Das vergisst man nicht“, sagt die 39-Jährige. Ihre Kinder sollen den Krieg nie kennenlernen.

Die Söhne Jaser, 11, und Mohammed, 7, sowie Tochter Ayah, 9, haben sich herausgeputzt. Jedes Kind trägt eine Weihnachtsmütze. „An den Weihnachtsmann glauben wir aber nicht“, stellt Mohammed klar. Früher vielleicht, als es an der Tür klingelte und Geschenke davor lagen. Später stellte sich heraus: Das war der Nachbar. „Die Kinder in der Schule meinen, es gibt den Weihnachtsmann nicht“, sagt der Junge mit den großen braunen Augen und dem verschmitzten Lächeln. Dann wendet er sich wieder Plüschtier Rudolf zu, das „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“ dudelt.

Auch wenn die Familie an den Koran und Mohammed als den wahren Propheten glaubt, ist die Weihnachtszeit auch eine besondere für sie. Die Kinder basteln, singen Weihnachtslieder, essen Schokoweihnachtsmänner und Marmorkuchen mit Mandeln und Rosinen, den ihre Mutter für sie backt. Papiersterne schmücken das Fenster.

Ayah hat sich ein Säckchen über die Schulter geworfen – für ihre Gedichtinterpretation, die gleich folgt, eine unverzichtbare Requisite. Dann legt die Neunjährige los. Mit leuchtenden Augen und ausladenden Gesten sagt sie ein Weihnachtsgedicht nach dem anderen auf – ohne zu stocken. „Ayah ist in der Theater-AG“, sagt Nigras Saed stolz. Naeem Anjal nickt. „Sie hat viele Talente. Sie kann auch gut malen.“ Ayah holt eine Zeichnung hervor: Es zeigt eine Szene aus der Weihnachtsgeschichte, Josef und Maria mit dem kleinen Jesus im Arm vor dem Stall. Um die drei Heiligen Könige springen Schäfchen herum, daneben ein Kamel. Für das Bild wurde sie von der Malschule Kipnis mit einer Urkunde ausgezeichnet. Die Weihnachtsgeschichte hatten sie im Religionsunterricht behandelt.

Auch Nigras Saed beschäftigt sich mit der Bedeutung von Weihnachten. Sie sieht Parallelen zum Opferfest. „In beiden Kulturen kommt die Familien zusammen, um gemeinsam zu beten, zu essen und zu feiern“, sagt sie.

Mit dem Opferfest werde dem Propheten Ibrahim (Abraham) gedacht, der bereit war, seinen Sohn Ismael (Isaak) zu opfern und so die göttliche Probe bestanden habe, erklärt Jaser. Der Elfjährige besucht die Erich-Kästner-Gesamtschule, will Abitur machen. Vergangenes Jahr hatte er einen Notendurchschnitt von 1,6. Er und seine Geschwister sprechen akzentfrei Deutsch, können aber auch Arabisch und besuchen sonnabends die arabische Schule. Nigras Saed kontrolliert ihre Hausaufgaben, auch wenn es manchmal etwas länger dauert, weil sie Wörter nachschlagen muss.

„Die deutsche Sprache ist nicht so leicht“, sagt sie. In ihrer Heimat hat sie als Mikrobiologin gearbeitet. Hier wurden ihre Bewerbungen abgelehnt. Doch sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass ihr der berufliche Einstieg noch gelingt. „Das ist mein großer Wunsch.“ Ihre Mutter war Lehrerin, der Vater Ingenieur, ihre Geschwister und Schwägerinnen arbeiten als Ärzte und Anwälte in Kanada und Jordanien. Die Familie ist weit verstreut. Während in anderen Wohnzimmern die Liebsten gemeinsam vor dem Weihnachtsbaum sitzen, müssen sie über Skype Kontakt halten.